Schon probiert? Führen und Lernen "mit (dem) Hirn"

04. Juni 2019

Neuroleadership-Experte Andy Habermacher im Interview

Was bringt gehirngerechtes Lernen und Führen für das Unternehmen als Ganzes, aber auch aus Sicht des Einzelnen, und was machen gute Führungskräfte in dieser Hinsicht anders? Neuroleadership-Experte Andy Habermacher erklärte Ende Mai beim Business Breakfast an der WU Executive Academy, welche Potentiale in uns frei werden, wenn wir nicht gegen, sondern „mit (dem) Hirn“ lernen und führen.

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Beim Business Breakfast erklärte Andy Habermacher, wie iwichtig es ist "mit (dem) Hirn" zu lernen.

Unser Gehirn lernt immer – ob wir wollen oder nicht, sagt Andy Habermacher. Mit seinen Keynotes klärt der aus England stammende Wahlschweizer Top-Führungskräfte in aller Welt darüber auf, wie komplex unser Gehirn funktioniert und was wir brauchen, um gehirngerecht lernen und arbeiten zu können.

Beim Business Breakfast am 24. Mai 2019 an der WU Executive Academy sprach er über gute Lernumgebungen und darüber, was Führungskräfte in Sachen gehirngerechte Führung besser machen können. Am Rande der Veranstaltung haben wir mit Andy Habermacher ein Interview geführt.


Herr Habermacher, wie können wir das Lernen in Unternehmen stimulieren?

Das Gehirn lernt sowieso immer. Nur würden wir das nicht immer als „Lernen“ bezeichnen – etwa, wenn wir eine Stadt besuchen, alle Eindrücke in uns aufnehmen und so über diese Stadt etwas lernen. Intrinsische Motivation hat natürlich einen Einfluss auf das Lernen, sie ist gewissermaßen die Basis. Dann muss das Lernziel auch unseren fünf emotionalen Bedürfnissen entsprechen, die wir mit SCOAP beschreiben: Self-esteem, also Bedürfnis nach Selbstwert, Control, das Bedürfnis nach Kontrolle über unser Leben, Orientation, das Bedürfnis nach mehr Orientierung durch mehr Wissen, Attachment, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und guten Beziehungen zu anderen und Pleasure, das Bedürfnis nach mehr Freude.

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Andy Habermacher erklärt SCOAP - die 5 emotionalen Bedürfnisse der Menschen.

In Zukunft müssen sich Unternehmen zunehmend als lernende Organisationen ausrichten. Inwiefern?

Besonders wichtig ist, zu überlegen, wie man Lernaktivitäten in das alltägliche Business einbettet. Ich empfehle einen bewussten Umgang mit dem Lernen, zum Beispiel: Ein Teil unserer täglichen Arbeit besteht aus Lernen. Und nicht: Wir produzieren Produkt X und servicieren unsere KundInnen. Sich bewusst eine Stunde am Tag zu nehmen, um über das Gelernte des Tages zu reflektieren – das ist wahres Lernen (true Learning).

Sie definieren das Lernen also weniger als Training, das man outsourcen kann, sondern vielmehr als Reflexionstätigkeit.

Natürlich gehört klassisches Training zu einer lernenden Organisation dazu. Aber es gibt sehr viel Wissen, sehr viele rauchende Köpfe im täglichen Business. Man kann so viel erreichen, indem man den MitarbeiterInnen im täglichen Tun mehr Raum für Reflexion und für das Nachdenken gibt. Wir haben eine unglaubliche Menge an Informationen, die auf uns einprasseln. Die müssen wir auch reflektieren, einordnen und verarbeiten können. Nehmen Sie etwa das Coaching: das ist kein Training, sondern man stellt die richtigen Fragen und führt die Person selbst zu ihrer Erkenntnis. So ist es auch mit Organisationen. Die richtigen Fragen fördern das Lernen.

Wie können Führungskräfte die Potenziale, die Neugierde und Kreativität der MitarbeiterInnen zum Durchbruch verhelfen?

Kinder sind grundsätzlich auf natürliche Weise neugierig, später, bei Erwachsenen, ist Neugierde aufgrund der angelernten Denkmuster (Frameworks) sehr unterschiedlich ausgeprägt. Neugierde lässt sich schwer trainieren. Neugierige Menschen lernen leichter und sind innovativer, sie haben weniger Angst davor, zu scheitern. Aber was Führungskräfte unabhängig davon tun können, ist: den MitarbeiterInnen wirklich zuhören. Und ihnen Raum für das Lernen zu geben, etwa über persönliche Treffen oder eine virtuelle Plattform für den Austausch von Ideen. Persönliche Reflexions- oder Austauschrunden sollten regelmäßig stattfinden, einmal im Monat oder zumindest einmal im Quartal.


Inwiefern hängt intrinsische Motivation mit dem Lernerfolg zusammen?

Je mehr das Lernen auf die intrinsische Motivation des Einzelnen abzielt, desto mehr investieren die Menschen ins Lernen. Ein Beispiel: als Studierende verbringen wir mehrere Jahre mit wenig Einkommen, mit intensiver Arbeit und Prüfungsstress. Doch wir tun das, um einen höheren Stellenwert im Leben zu haben, einen besseren Job, höheren Status, ein allgemein besseres Leben. Wir tun es für eine langfristige Vision, die implizit im Lernprozess enthalten ist. Im Unternehmenskontext bedeutet das: wenn ich diese und jene Skills erwerbe, erhalte ich eine höhere Position und mehr Geld.

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Das Publikum verfolgte gespannt Andy Habermachers Vortrag.

Sie sagen, auch starke Beziehungen verbessern die Lernerfahrungen in Unternehmen.

Ja, das Gehirn lernt am besten in einer sicheren Umgebung. In einer bedrohlichen Situation wird man immer auf die Bedrohung fokussieren. Das zerstört Kreativität. Das bedeutet auch, dass man sich sozial wohl fühlen sollte, indem man mit den richtigen Leuten umgeben ist. Eine gute soziale Umgebung mit Menschen, die man mag, wirkt sich biochemisch auf das Gehirn aus, es produziert Oxytocin, was wiederum die Lernfähigkeit positiv stimuliert.

Also sollten Unternehmen mehr solche positiven sozialen Erfahrungen ermöglichen, mit entsprechenden Social Spaces, gemeinsamen Unternehmungen?

Ja, auf jeden Fall. Das Problem ist: In der Krise, wenn es um Kostenreduktionen geht, wird zuallererst hier eingespart, zum Beispiel beim Teambuilding, bei der unternehmensinternen Fußballmannschaft oder beim Marathonteam. Das spart nur wenige Kosten, hat aber enormen negativen Einfluss auf das soziale Miteinander und die Bindung im Team. Oft heißt es, Teambuilding ist nicht Teil der Arbeit. Aber es ist Arbeit, wenn es darum geht, Vertrauen und gute Zusammenarbeit im Team aufzubauen. Und das hat starken Einfluss auf die Gehirne der Menschen.

Sie sagten im Vortrag, dass das Gehirn besser lernt, wenn man die Menschen ein bisschen verwirrt und es ihnen unbequem macht.

Schauen wir uns die Kreativität an. Kreativitätsprozesse funktionieren simpel: Sie benötigen Input und Inkubationszeit für eine tolle Idee. Die Inkubation ist wichtig, weil das Gehirn Zeit braucht, um die Informationen miteinander zu verknüpfen. Das Gehirn versucht immer, zu verstehen. Wenn es etwas nicht versteht, wird es solange weitermachen, bis es das tut. Daher stimulieren wir den Lernprozess, wenn wir die Leute in leichter Verwirrung und Ungewissheit lassen. In traditionellen Lernprozessen geben wir möglichst klare Informationen, das ist aber nicht das Richtige für unser Gehirn. Wenn du viel Information gibst, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der andere sie vergisst. Fragen Sie sich: Wieviel wissen Sie tatsächlich noch aus Ihrer Schulzeit?

Inwiefern spielen Emotionen beim Lernen eine Rolle?

Wir unterliegen einer Fehlinterpretation bei Emotionen. Da geht es darum, ob wir gut drauf oder traurig sind. Aber: Emotionen geben einer Situation, einem Ziel erst einen Wert. Es heißt immer, in Unternehmen ist kein Platz für Emotionen. Das ist nicht wahr. Profit zu machen etwa ist ein hochemotionaler Prozess. Da geht es um Erfolg, Status, Kontrolle, Stolz. Wenn Sie nicht emotional involviert sind, dann ist es Ihnen egal. Wenn Sie profitabel, erfolgreich und die Nummer Eins sein wollen, ist das ein emotionales Konzept. Wir nennen es rational, aber es ist immer emotional.

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Andy Habermacher erklärt, wie wichtig Emotionen wichtig für den unternehmerischen Erfolg sind.

Wie sollten Unternehmen bei der Auswahl von Führungskräften vorgehen?

Die Frage ist: welche Art von Führungskräften will ich in meinem Unternehmen haben? Dann geht es darum, die richtigen Persönlichkeiten an die richtige Stelle zu platzieren. Die Rollen und Erwartungen an Führungskräfte müssen erstens hinterfragt und reflektiert und dann klar kommuniziert werden. Als Teamleader eines Produktionsbetriebs ist es etwa Ihre Aufgabe, die Menschen zu befähigen, dass sie selbstständig mehr produzieren, und zwar unabhängig davon, ob der Boss dabei ist. Als AbteilungsleiterIn ist es wiederum Ihre Aufgabe, den Teamleader zu befähigen, dass er seine MitarbeiterInnen befähigt. Der klassische Fehler ist: Oft steigt der/die beste MitarbeiterIn zum Boss auf. Das ist aber nicht unbedingt die beste Führungskraft. Die Frage ist bei der Besetzung einer Führungsposition nicht, wer kann am besten anderen sagen, was zu tun ist, sondern: wer befähigt die MitarbeiterInnen, dass sie es auch ohne Chef tun?


Die emotionalen Bedürfnisse spielen wohl auch eine Rolle beim Thema Chefsein.

Aber: indem man weniger Status will, erreicht man häufig einen höheren Status. Wenn Sie aus Statusgründen unbedingt der Chef sein wollen, werden Sie die Leute micromanagen – und Ihr Status wird bei ihnen sinken. Wenn Sie das nicht tun, erlangen Sie in Wahrheit einen höheren Status bei Ihren MitarbeiterInnen – dann sind Sie ein richtig guter Chef.

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