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"Glückliche Kühe geben mehr Milch: das ist Manipulation."
Bodo Janssens Führungsaufgabe bei der Hotelkette Upstalsboom ist ganz einfach: Menschen stärken. Er bezwingt mit Azubis den Kilimandscharo, lässt eine Studentin ein Hotel führen und bietet Mitarbeiter*innen Wege zur Selbstfindung. Warum er als Führungskraft bewusst einen anderen Weg einschlägt, erzählte er bei der Podiumsdiskussion Personalentwicklung 4.0 am 11. April 2019, die gemeinsam vom WU Institut für Personalmanagement mit der WU Executive Academy organisiert wurde.
Bodo Janssen hat ein bewegtes Leben hinter sich. Als modelnder Sonnyboy und Unternehmersohn wurde er entführt und durchlebte Tage des Terrors. Als junger Nachfolger seines verstorbenen Vaters setzte er auf Effizienz und Strategisches Management – bis seine Mitarbeiter*innen ihm über eine Befragung zur Mitarbeiter*innenzufriedenheit ein vernichtendes Urteil als CEO ausstellten. Janssen begab sich daraufhin ins Kloster. In den von Pater Anselm Grün geleiteten Workshops zum Thema „Spirituelles Führen“ erkannte er, was für ihn wesentlich ist, nämlich: Menschen zu stärken.
Bodo Janssen
Spiritualität bedeutet für uns, dass die Menschen das in ihrem Leben leben können, was ihnen als Mensch wirklich wichtig ist. Nicht mehr und nicht weniger. Dann sind sie begeistert und bei sich selbst. Das hat nichts mit Religiosität zu tun.
Gemeinsam mit dem Pater führt er seither die Workshops auch für seine Mitarbeiter*innen durch. Er besteigt mit seinen Auszubildenden den Kilimandscharo oder überquert mit ihnen unter Extrembedingungen den Polarkreis. „Wertschöpfung durch Wertschätzung“ nennt er seinen Leitsatz. Im Rahmen der Veranstaltung „Personalentwicklung 4.0 – PE als Kernprozess in Unternehmen“ stand er im Dreifach-Interview Rede und Antwort.
Die Interviewer*innen: Helga Pattart-Drexler, Head of Executive Education an der WU Executive Academy, Prof. Wolfgang Mayrhofer, Vorstand des Interdisziplinären Instituts für Verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management und Prof. Jürgen Weibler, Professor an der Fernuniversität in Hagen gaben Impulse aus der Wissenschaft. Prof. Michael Müller-Camen, Vorstand des Instituts für Personalmanagement an der WU Wien, der Bodo Janssen für die Veranstaltung nach Wien geholt hatte, moderierte an diesem Abend.
Wolfgang Mayrhofer: Wenn Sie sagen, da brauche ich den ganzen Menschen, läuft es mir kalt den Rücken runter. Ich will in meinem Arbeitsleben nicht ganz von einer Organisation vereinnahmt werden. Da bin ich lieber ein Subjekt, das selbst bestimmt, wer mich ganz hat – nämlich fast niemand.
Wir wollen nicht den ganzen Menschen. Wir laden den Menschen ein, sich als Ganzes einzubringen – wenn er denn möchte. Ich denke an einen Pinguin, der versucht, den Baum hinaufzuklettern. Wir erleben häufig Menschen, die aufgrund ihrer Ausbildung und weil es immer so war, Aufgaben übernehmen, die nicht ihrer Persönlichkeit entsprechen. Sie versuchen eine Rolle zu spielen. Wir helfen den Menschen dabei, durch die Schule der Selbsterkenntnis zu gehen und Fragen zu stellen: Was ist für mich wesentlich? Wofür stehe ich auf? Was sind meine Talente? In diesem Curriculum geht es gar nicht um das Unternehmen. Erst wenn der Mensch sich bewusstgeworden ist, schauen wir im Unternehmen nach Aufgaben, die er seiner Persönlichkeit entsprechend ausüben kann. Manche orientieren sich im Unternehmen komplett um. Das ist Führungsaufgabe: den Menschen den Spiegel vorzeigen. Das Prinzip lautet: vom Sollen zum Wollen zu kommen. Da geht es immer auch um den Sinn. Wir bemerken immer mehr, dass sinnvolle Aufgaben Teil der Entlohnung sind. 2010 haben 75 Prozent der Mitarbeiter*innen gesagt, sie fühlen sich schlecht bezahlt. Wir haben die Gehälter nicht verändert, aber die Führung. 2015 waren es nur noch 45 Prozent. Der Anteil sinnvoller Aufgaben muss wohl gestiegen sein. Auch präventive Medizin ist für uns Teil der Entlohnung. Wir schaffen derzeit ein gesundheitliches Vorsorgesystem für unsere Mitarbeiter*innen, das weit über das der Krankenkassen hinausgeht.
Wolfgang Mayrhofer: Ein weiteres Thema, über das ich gestolpert bin, ist die Corporate Happiness bei Upstalsboom. Ich sage in den Vorlesungen immer: Corporate Happiness ist pfui. Der Mensch sollte doch nicht von Corporate vereinnahmt werden.
Da bin ich ganz bei Ihnen. Wir haben die Corporate Happiness aber immer im Sinne der Positiven Psychologie verstanden. Wir kommen aus einem System, das von der Normierung lebt. Wir werden als Unikat geboren, viele von uns sterben aber als Kopie. Der Mensch und seine Persönlichkeit gehen in diesem System verloren. „Corporate“ spricht für mich die alte Welt an: wir sind dann Objekte, keine Subjekte mehr. In der alten Welt des kapitalistischen Wirtschaftens ist der Mensch immer Mittel zum Zweck des Unternehmens. Wenn ich dich beeinflusse, damit es dem Unternehmen bessergeht, nach dem Motto „Glückliche Kühe geben mehr Milch“, - dann ist das Manipulation. Wenn ich dich so beeinflusse, dass es dich als Mensch erfolgreich macht, dann ist das Führung. Die Frage ist: Ist der Mensch Mittel zum Zweck oder ist das Unternehmen Mittel zum Zweck Mensch? Wir laden die Mitarbeiter*innen dazu ein, sich ihrer selbst, ihrer Fähigkeiten, ihrer Werte und ihres Sinns bewusst zu werden. Wenn sie tun, was ihnen persönlich wichtig ist, ist das Selbsttranszendenz. In der Hierarchie des alten Systems musste man immer besser sein als der andere, um nach oben zu kommen. Die Wirtschaftslogik ist heute aber das Netzwerk: es geht nicht um die Frage, was habe ich davon, dass es andere gibt? Es geht um die Frage: was haben andere davon, dass es mich gibt? Welchen Nutzen stifte ich meinen Mitmenschen? Wenn ich einen großen Nutzen stifte, kommen die Menschen auf mich zu, dann wachse ich zu einer wahren Führungskraft.
Publikumsfrage: Herr Janssen, Sie sprachen von „Vom Wollen zum Sollen“. Was geschieht denn, wenn in Ihrem Hotel niemand mehr die Betten machen möchte?
Natürlich gibt es Arbeitsprozesse, die vielleicht nicht der Sehnsucht jedes Menschen entsprechen. Aber wenn die Mitarbeiter*innen das Gefühl haben, dass ihre Arbeit zu etwas Sinnvollem beiträgt oder sie Optionen erhalten, über die Arbeit hinausgehend für sich etwas Sinnvolles zu tun – wie das Zimmermädchen, das für drei Wochen mit 20 Kolleg*innen nach Afrika fliegt, um Schulen einzuweihen, die über ihr Engagement entstanden sind, dann ist das etwas anderes. Das kann auch ein Kinderhospiz sein. Menschen erachten immer dann etwas als sinnvoll, wenn sie einen Wert in sich tragen, den sie an anderer Stelle erleben können. Dann ist es ein mittelbarer Aspekt. Es hat nichts mit der Arbeit direkt zu tun, aber es ist durch diese Arbeit in diesem Unternehmen möglich. Es geht um den persönlichen Sinn. Dem Zimmermädchen zu sagen, dass es beim Putzen Kalorien verbrennt, wäre aber Manipulation. Das gesamte Unternehmen geht in diesem Jahr in eine gemeinnützige Stiftung über. Die gesamten Erträge der Mitarbeiter*innen fließen in die Projekte, für die sie sich entschieden haben. Jeder Handschlag den sie tun, tun sie in dem Bewusstsein, nicht nur Geld für ihre Existenz zu verdienen, sondern sich für etwas Sinnvolles einzusetzen. Unsere Upstalsboomer Sinnthese bedeutet: Wirtschaftlichkeit ist nur die Basis unserer Existenz, nicht aber der Sinn unseres Handelns.
Helga Pattart-Drexler: Was ist für Sie Personalentwicklung und wie zeigt sie sich bei Upstalsboom?
Die Aufgabe von Personalentwicklung ist für mich, dass der Mensch sich mit seinen Fähigkeiten und seiner Persönlichkeit im Unternehmen als Subjekt einbringen kann. Den Begriff „Personal“ nutzen wir gar nicht, den verbinde ich mit der alten Welt. Menschenentwicklung bedeutet in unserem Unternehmen, dass die Menschen wieder mit sich selbst in Beziehung treten. Ein junger Mensch um die 20 hat etwa 10.000 Mal gehört, was er alles nicht kann. Irgendwann glaubt er daran. Die neuronalen Netzwerke haben sich entwickelt, der Selbstwert sinkt und er ist dadurch manipulierbar. Ihm fehlt die innere Haltung. Wir wollen die Menschen dabei unterstützen, diese innere Haltung wiederzufinden. Allerdings: Das Gehirn mag keine Anstrengung und bleibt lieber in seinen Gewohnheiten. Um das zu unterbrechen, brauchen wir Impact. Starke emotionale Eindrücke können die neuronalen Netzwerke wieder ein stückweit neu entwickeln. Daher gibt es bei uns die Reisen zum Kilimandscharo und in die Arktis. Dort erfahren die jungen Menschen, dass sie viel mehr können, als sie bisher dachten.
Helga Pattart-Drexler: Man kann nicht jede Woche auf den Kilimandscharo oder in die Arktis. Wie könnte man diesen Impact dennoch in Unternehmen bringen?
Unsere Mitarbeiter*innen haben pro Jahr mehrere Tage frei, um sich sozial zu engagieren – um über die Begegnung mit anderen Menschen zu wachsen. Wir hatten einen Koch, der die Auszubildenden behandelt hat wie der Schnitzelklopfer das Wiener Schnitzel. Dieser Koch hat ehrenamtlich bei einem Verein mitgemacht, der für vernachlässigte Kinder einen wunderschönen Tag organisiert. Wir haben diesen Tag organisiert, es wurde gekocht und es gab einen Kochmützenmalwettbewerb. Da kam ein kleines Mädchen zu dem grimmigen Koch und gab ihm eine Kochmütze. Plötzlich hatte der Koch Tränen in den Augen. Viele Tränen. Ich kam hin und fragte, was los war. Auf der Mütze stand von dem Kind geschrieben: Vielen Dank, das war der schönste Tag in meinem Leben. Zwei Jahre später gratulierte mir der IHK-Präsident, die Auszubildende dieses Kochs hatte das beste Ergebnis bei der Abschlussprüfung seit 20 Jahren gemacht. Wir müssen Menschen berühren, um sie zu bewegen. Die emotionale Berührung verändert die neuronalen Netzwerke. Das findet nicht am Schreibtisch statt, sondern an vielen anderen Orten.
Helga Pattart-Drexler: Im Bewerbungsprozess: Wie erkennen Sie, wann jemand zu euch passt?
Die schlechtesten Entscheidungen für Bewerber*innen waren die, die ich über die Köpfe meiner Mitarbeiter*innen hinweg getroffen habe. Wir haben keinen standardisierten Corporate-Bewerbungsprozess. 50 Prozent unserer Neueinstellungen sind Quereinsteiger*innen. Es geht sehr stark darum, ob jemand zu uns passt. Wir bringen Bewerber*innen in Kontakt zu den Mitarbeiter*innen und fragen diese dann, ob es passt. Das erfahren wir über die Mitarbeit. Wir haben letztes Jahr ein Hotel eröffnet, ein Pool von Menschen bewarb sich bei uns auf verschiedene Jobs. Wir hatten vier Bewerber*innen, die die Leitung haben wollten. Wir übertrugen ihnen allen für eine Woche die Führung des Hotels und die von anderen Hotels, um in Erfahrung zu bringen, wie die Arbeit läuft. Dann sollten sie entscheiden, wer die Leitung haben sollte. Sie wählten einen Bewerber, der sich als Rezeptionist beworben hatte. Oder: vor drei Jahren haben die Azubis einen Bewerber als Direktor ausgewählt. Es ist wichtig, dass die Mitarbeiter*innen mit den Führungskräften zurechtkommen.
Helga Pattart-Drexler: Im Schnitt blicken HR-Manager*innen und Recruiter*innen 30 Sekunden eine Bewerbung an. Was sagen Sie dazu?
30 Sekunden? Das fällt mir schwer, weil wir keinen Wert auf Bewerbungsunterlagen und Zeugnisse legen. Wir haben viele Bewerber*innen, die ein Sabbatical bei uns machen wollen oder unser Unternehmen mal ansehen wollen. Wir laden sie ein vorbeizukommen. Ich schaue mir keine Bewerbungen an. Vieles geht auch durch Empfehlung in den Hotels. Wir haben aber auch Hotels mit klassischen Jobanzeigen. Wir sagen den Auszubildenden, schickt uns eure Zeugnisse nicht. Denn das Zeugnis ist nur Ausdruck der Fähigkeit, sich anzupassen. Wir hatten Menschen im Unternehmen, die wären durch das übliche Raster durchgefallen. Bei uns wurden sie nach zwei, drei Monaten Auszubildende des Monats, weil die sich als Menschen so wunderbar eingebracht haben.
Helga Pattart-Drexler: Welche HR-Tools verwendet ihr? Wie analysiert ihr Stärken, wie geht ihr mit Feedback um?
Wir hatten eine Führungskraft, die davor 15 Jahre in einer Behörde gearbeitet hatte. Er kam zu uns und sagte, er wolle unbedingt hier arbeiten. Was passierte: Er hatte diese starren Strukturen, wir machten die Gefängnistür auf und entließen ihn zu uns in den Dschungel. Den Umgang damit hatte er aber nicht gelernt. Wir lassen diesen Menschen erstmal zwei, drei Monate Zeit, um zu schauen: Wie kommt er oder sie überhaupt klar? Manche fangen sich und finden sich zurecht. Viele, die auf den egozentrischen Weg zurückfallen und sich etwas beweisen wollen, fallen dann raus. Dieser besagte Mensch ist voll auf die Nase gefallen. Wenn das passiert, gehen wir einen Schritt zurück und überlegen passende Aufgaben in einer starreren Struktur. Er wurde Datenschutzbeauftragter – aber mit dem Anspruch, den Datenschutz an unsere Kultur anzupassen. Er hat etwas ganz Wunderbares gemacht: Er hat sein Büro aufgegeben und fährt nun zu den Mitarbeiter*innen in die Hotels, um sein Wissen weiterzugeben. Er hat einen Nutzen gestiftet, plötzlich wurde er gefragt. Für mich war er so ein starkes Vorbild, dass ich im letzten Jahr auch mein Büro aufgegeben habe. Ich frage freitags abends meine Mitarbeiter*innen, wer in der nächsten Woche Platz für mich hat.
Helga Pattart-Drexler: Haben Sie jemals ans Scheitern gedacht?
Ja, ganz zu Beginn des Prozesses. Damals habe ich hohe Erwartungen hineingebracht. Aktuell haben wir das Lohnthema. Die Mitarbeiter*innen haben in einigen Bereichen ihre Löhne und jene ihrer Vorgesetzten selbst bestimmt. Wir weiten das gerade auf das gesamte Unternehmen aus und sprechen mit 800 Mitarbeiter*innen über Sinn und Präventivmedizin als Teil der Entlohnung. Wir führen den Dialog über Leistungsprinzip und Bedarfsprinzip: Wir sprechen darüber, ob eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern zwei Euro mehr pro Stunde bekommen sollte. Ich merke, dass es ein komplexes Thema ist. Die Entwicklung unserer Mitarbeiter*innen führt zu einem guten Dialog. Aber wo das Ganze endet – ich habe keine Ahnung.
Publikumsfrage: Wie schafft man es, dass da kein Chaos ausbricht?
Das Chaos ist da. Wir merken schon, wenn der Grad der Freiheit zu groß ist, sinkt die Zufriedenheit wieder. Es braucht einen bestimmten Rahmen, der von der Entwicklung der Menschen abhängt. Menschen mit einer stark entwickelten Persönlichkeit können mit mehr Freiraum umgehen als andere. Wir haben 50 Hotels und Ferienanlagen. Sie arbeiten von autokratisch bis voll holistisch. Wir haben ein Hotel ohne Führungskräfte, die jeweiligen Mitarbeiter*innen fragen ihr Team um Rat, um dann die Entscheidung zu treffen. Dieses holistische Unternehmen wird von einer Studentin geführt, die bei uns eine Bachelorarbeit geschrieben hat und einen Ferienjob gemacht hat. Ich habe sie gefragt, ob sie als Ferienjob ein Hotel eröffnen möchte. Das hat sie mit großem Erfolg getan. Sie hat das holistische Prinzip eingeführt, das ursprünglich aus dem Benediktiner-Kloster stammt. Andere Bereiche sind dazu noch nicht bereit. Oder das Thema Bestimmung des Gehalts: Hier gab es ein Team, das schon sehr weit war und sein Gehalt selbst bestimmt hat, völlig frei, ohne Restriktionen. Das geht aber nur, wenn man seinen Wert als Mensch nicht vom Gehaltszettel abhängig macht. Ein anderes Team hat sich nach der Gehaltsdiskussion aufgelöst, die Leute haben sich zerstritten. Es müssen Voraussetzungen für so viel Autonomie geschaffen werden.
Publikumsfrage: Ich sehe Upstalsboom als Insel im Kapitalismus. Sehen Sie Unternehmen, die diesen Weg auch gehen wollen?
Bodo Janssen: Ich sehe immer mehr Menschen, die etwas Sinnvolles erleben wollen. Das Interesse findet sich häufig in der Basis bis hin zum Mittleren Management. In den Top-Positionen erlebe ich eher eine große Verunsicherung. Es gibt aber Ausnahmen: ich arbeite mit dem Inhaber der Otto Group zusammen, der diesen Geist in die Organisation transferiert. Dann erlebe ich die Osterfeuerstrategie von einzelnen Personen aus der Basis, die etwas Sinnvolles für Unternehmen tun und Mitstreiter*innen finden, wie etwa bei T-Systems und der Deutschen Telekom. Die Lufthansa hat eine neue Führungskultur für 40.000 Mitarbeiter*innen entwickelt und arbeitet interhierarchisch. Auch in unseren Kursen erleben wir Nachfrage, wir öffnen sie auch für andere. Bis 2020 sind wir ausgebucht.
Helga Pattart-Drexler: Ich glaube, dass wir als Führungskräfte unsere Schwächen zeigen müssten. Was wäre Ihre Schwäche?
Meine Schwäche ist das rechte Maß. Das bringt mich auch manchmal in Verlegenheit. Es kommt dazu, dass ich die Organisation überfordere und die Mitarbeiter*innen das für mich ausbaden müssen. Ich denke, das Schwächezeigen gehört zur Führungskraft. Indem ich Schwäche zeige, nehme ich viel Druck von der Belegschaft, perfekt sein zu müssen. Wenn ich als Führungskraft meine Schwächen kommuniziere, dann trauen sich auch die Mitarbeiter*innen, Fehler einzugestehen. Es geht nicht darum, zu glänzen. Es geht darum, zu leuchten. Dazu muss man sich durch eine ganze Menge Dreck wühlen.
Jürgen Weibler: Die Basis für Führung bei Upstalsboom ist der Dialog. Welche Konsequenzen gibt es, wenn es wirtschaftlich nicht gut läuft?
ch möchte auf das Beispiel mit der Studentin zurückkommen, die das Seehotel führt. Ich bin damals mit meinem Führungsanspruch gescheitert. Ich hatte einen Marineoffizier als Hoteldirektor eingesetzt, ich habe versucht, ihn mit Stuhlkreisen zu führen. Das hat nicht funktioniert. Ich musste lernen, dass es unterschiedliche Persönlichkeiten gibt. Das Hotel geriet in finanzielle Schieflage, ich musste es schließen, um weiteren Schaden von der Gemeinschaft abzuwenden. Mitarbeiter*innen wurden entlassen. Dann kam die Studentin aus München und ich fragte sie, ob sie das Hotel führen kann. Wir haben das System entsprechend ihrer Persönlichkeit verändert. Sie hat das holistische System eingeführt, führt das Hotel also nicht mehr selbst. Seit fünf Jahren ist es eines der erfolgreichsten Hotels von uns. Ein anderes Beispiel: Wir haben ein nicht erfolgreiches Hotel für sechs Monate geschlossen, allerdings in Abstimmung mit den Mitarbeiter*innen. Daraus entsteht jetzt eine neue Hotelmarke: das Hotel am Rande der Welt. Wenn es wirtschaftlich nicht läuft, muss man Konsequenzen ziehen. Aber die Mitarbeiter*innen sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, wenn sie eine Perspektive bekommen. Wir überlegen, wie wir gemeinsam etwas weiterentwickeln können, damit es in Zukunft Bestand hat. Das Schaffen dieser Perspektive macht das Durchschreiten der Talsohle für viele erträglicher. Der Dialog hat aber nichts mit Harmonie zu tun. Wenn ich nach Harmonie strebe, aus Angst, nicht geliebt und anerkannt zu werden und dadurch vieles schlucke, geht das nicht gut. Irgendwann muss ich den ganzen Kram wieder auskotzen. Es geht darum, Menschen zu ermutigen, sich auch gegen das Bestreben, anerkannt und geliebt zu werden, zu äußern. Das entsteht nur durch eine starke Persönlichkeit.
Sehen Sie Bodo Janssen im ORF-Portrait: