Disruptieren statt kapitulieren

21. August 2017

Wie die TOP 100 mit Änderungen der Spielregeln umgehen

Innovative Technologien und radikal andere Geschäftsmodelle stellen im Zeitalter der Digitalisierung die wohl größte unternehmerische Herausforderung dar. Was kann man als etablierter Player tun, um einer plötzlichen Änderung der Spielregeln nicht zum Opfer zu fallen? Wie kann man sie vielleicht sogar proaktiv herbeiführen und damit einen Wachstumssprung machen? Ein Workshop mit den innovativsten MittelständlerInnen Deutschlands gibt Antworten.

Ein Arbeitsteam denkt über ein Problem nach
Die Digitalisierung von Unternehmen fordert Kreativität und den Mut, neue Wege zu gehen. Foto © Sebastian Freiler

Die Studie

Im Juli 2017 habe ich am Deutschen Mittelstands-Summit einen ExpertInnen-Workshop zum Thema Disruption durchgeführt. Teilgenommen haben 92 ManagerInnen der TOP 100. Bei diesen Unternehmen handelt es sich um die innovativsten KMU Deutschlands – unter ihnen bekannte Namen und Weltmarktführer, aber auch „Hidden Champions“ und frisch gegründete Unternehmen. Sie alle haben gemeinsam, dass sie ungewöhnlich erfolgreich im Umgang mit Disruption sind. Die Leitfrage des Workshops war entsprechend, welche Erfolgsrezepte sie entwickelt haben. Die UnternehmerInnen tauschten in Kleingruppen ihre Erfahrungen aus und erarbeiteten gemeinsam Thesen, die sie dem Plenum präsentierten. Zusätzlich wurde eine Quantifizierung der Bedeutung und der Leistung innerhalb der Aktionsfelder vorgenommen. Diese Ergebnisse sind aufschlussreich.

Diagramm Schwierigkeit der Situation zu höhe des benötigten Leistungslevel
Je schwerwiegender die Disruption, desto höher ist das Leistungslevel in den Top 100.

Alles entscheidend: Das Management des Widerstands

Die Analyse zeigt sehr deutlich, was als größte Herausforderung empfunden wird: Das Management des internen Widerstands. Eine neuartige Wertschöpfung stellt gewachsene Kompetenzen nun einmal zwangsläufig in Frage. Als „schöpferische Zerstörung“ gefährdet es ganze Karrieren. Die neuartigen Anforderungen, die die Disruption mit sich bringt, sind daher objektiv bedrohlich. Das Unbekannte daran macht es zusätzlich zu einer extremen psychologischen Belastung. Aus dem Gefühl der Verunsicherung wird schnell eine Verweigerungshaltung und ein aktives Sabotieren der unternehmerischen Veränderung. Das Management dieses Widerstands ist aber nicht nur die schwierigste Managementleistung in Bezug auf Disruption, sie ist auch diejenige, bei der die Unterschiede zwischen den TOP 100 und „normalen“ Unternehmen am stärksten hervortreten. Während die erfolgreichen InnovationsführerInnen Wege gefunden haben, wie man mit dem Widerstand umgehen, ja zuweilen sogar in Begeisterung verwandeln kann, haben die durchschnittlichen Unternehmen hier ihre größte Schwäche. Ganz offensichtlich handelt es sich also um eine Schlüsselvariable. Die Interpretation, dass die TOP 100 ihre Führungsrolle genau dieser Fähigkeit verdanken, liegt nahe.

Ebenfalls wichtig: Flexibilität

Flexibilität und Anpassungsfähigkeit wird als eine kaum weniger schwierige Disziplin eingeschätzt. Als natürliche Bremsen wirken hier die Trägheit von Prozessen und Strukturen. Sie sind auf bestimmte Ziele hin optimiert – wenn diese wechseln, erfordert dies Energie und Zeit. Zusätzlich hat jede Organisation eine Art natürliche Gravitation in Richtung Bürokratie. Dies hemmt und verlangsamt Anpassungsprozesse. Auch in Bezug auf Flexibilität gibt es einen großen Abstand zwischen InnovationsführerInnen und Durchschnittsunternehmen. Die dynamische Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an neue Möglichkeiten und Herausforderungen, erscheint insofern ebenfalls als besonders wichtiger Erfolgsfaktor im Umgang mit Disruption.

Nicht ganz so kritisch: Information und Bewusstsein für Disruption

Das Bewusstsein für die Herausforderung der Disruption an sich und Informationen über konkrete Chancen und Gefahren erscheinen vergleichsweise weniger erfolgskritisch als die beiden anderen Dimensionen. Sie zu erhalten wird nicht nur als weniger schwierig eingeschätzt, die TOP 100 weisen hier auch einen deutlich geringeren Vorsprung vor den durchschnittlichen Unternehmen auf. Der Eindruck liegt nahe, dass es im Umgang mit Disruption wesentlich mehr auf das konkrete „Tun“, also auf die unternehmerische Umsetzung, ankommt als auf das Wissen an sich. Dieser Befund deckt sich mit zahlreichen Fallstudien zur Disruption. Bei vielen späteren Verlierern der Disruption war das Wissen um Chance bzw. Bedrohung durchaus vorhanden. Kodak hielt beispielsweise sogar entscheidende Patente zur digitalen Fotografie. Aber die Flexibilität war zu klein und der interne Widerstand zu groß – und so fielen sie der Disruption zum Opfer. Es ist ein immer wiederkehrendes Muster, dass Unternehmen vor der sich abzeichnenden Disruption gelähmt verharren, wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange.

Was tun?

Wie kann man Widerstand gegen Veränderungen begegnen? Wie die Flexibilität von Prozessen steigern? Die vielen Einzelmaßnahmen, die auf dem Workshop diskutiert wurden, haben einen gemeinsamen Nenner: Intrapreneurship. Es geht darum, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die den einzelnen MitarbeiterInnen Mut macht, Verantwortung gibt und zur Offenheit anregt. Wer von den TOP 100 lernen möchte, sollte also versuchen, das unternehmerische Denken und Handeln der MitarbeiterInnen auf allen Ebenen zu stärken. Hierzu gehören Anreize, Transparenz, Vertrauen und eine Führung, die die genannten Eigenschaften aktiv vorlebt. Solch eine Kultur zu schaffen und zu erhalten erfordert Weitsicht, Entschiedenheit und Ressourcen. Das Beispiel der TOP 100 zeigt jedoch, dass sich dieser Einsatz langfristig lohnt. 


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