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Warum kein Unternehmen auf Intrapreneur*innen verzichten kann
Für Unternehmen sind Intrapreneur*innen, also Menschen, die Widerstände überwinden und unternehmerisch handeln, in Zeiten von KI, immer kürzeren Produktlebenszyklen und ständiger Veränderung überlebensnotwendig geworden. Sind es doch gerade sie, die mit ihrer Kreativität Innovationen voranzutreiben, Marktchancen identifizieren, oder neue Geschäftsmodelle entwickeln. Nikolaus Franke, wissenschaftlicher Leiter des MBA Entrepreneurship & Innovation, hat sich daher genauer angesehen, was Führungskräfte konkret tun können, damit Intrapreneur*innen ihr volles Potential ausschöpfen können und sich eine Intrapreneurship freundliche Kultur im Unternehmen etablieren kann.
Intrapreneurship bedeutet unternehmerisches Handeln innerhalb eines etablierten Unternehmens oder einer Organisation. Intrapreneur*innen sind Personen, die innerhalb bestehender Unternehmensstrukturen innovative Ideen entwickeln, neue Geschäftsmöglichkeiten erkennen und diese dann im Markt für das Unternehmen auch praktisch um- und durchsetzen – genauso, wie es Unternehmer*innen mit ihren Start-ups machen.
Im Gegensatz zum „klassischen“ Entrepreneurship, wo es um die eigene Unternehmensgründung geht, arbeiten Intrapreneur*innen als Angestellte innerhalb einer bereits bestehenden Organisation. Sie tragen entsprechend nicht die gleichen Risiken und partizipieren nicht so unmittelbar am Erfolg der Innovation. Wie Entrepreneur*innen erkennen sie jedoch neue Gelegenheiten und verwirklichen sie. Ihre unternehmerischen Fähigkeiten und ihre kreative Denkweise sind daher von entscheidender Bedeutung, damit das Unternehmen neue Produkte, neue Dienstleistungen, neue Prozesse oder neue Geschäftsmodelle entwickeln kann. Ohne Intrapreneur*innen fehlen dem Unternehmen radikal innovative Ideen und wenn es sie aus einem Zufall heraus doch gibt, dann scheitern regelmäßig an den internen Widerständen, die aus dem Formalisierungsgrad und den festen Strukturen etablierter Organisationen erwachsen. Sie sind offen für neue Ideen und Lösungsansätze. Sie suchen nach Möglichkeiten, bestehende Probleme zu lösen oder neue Marktchancen zu identifizieren. Sie beschreiten neue Wege, um ihre innovativen Ideen umzusetzen. Sie haben die Fähigkeit, Ressourcen zu mobilisieren, Teams zu führen und innovative Projekte voranzutreiben.
Durch die Tatsache, dass sie die bestehende Ordnung herausfordern, werden sie von der Organisation häufig als Störenfried bzw. als Fremdkörper wahrgenommen. Es ist daher entscheidend wichtig, dass die Führung des Unternehmens sie gezielt fördert und unterstützt – andernfalls werden sie langfristig in ihrer Erneuerungskraft erlahmen oder das Unternehmen verlassen. Intrapreneur*in zu sein, muss sich lohnen.
Ein sehr wichtiger Aspekt ist dabei, dass die Führungskräfte des Unternehmens Intrapreneur*innen zum Übertreten von etablierten Regeln proaktiv ermutigen sollten. Ohne Regelbrüche sind gerade Innovationen undenkbar. Jede Erneuerung geht über bestehende Denkmuster hinaus und verletzt scheinbar in Stein gemeißelte Grundsätze und Prinzipien. Unkonventionelle und kreative Ansätze und neue Wege brechen per Definition aus bestehenden Mustern aus. Dies gilt in besonderer Weise für disruptive Innovationen, die bestehende Branchen und Märkte grundlegend umgestalten. Nur wer Regeln, Routinen und bestehende Geschäftsmodelle in Frage stellt, kann radikal neue Technologien, Produkte oder Dienstleistungen schaffen, die bestehende Märkte auf den Kopf stellen.
Naturgemäß ist dies ein kritischer Balanceakt. Für den Routinebetrieb eines Unternehmens sind die Etablierung, die Einhaltung und die Überwachung von Regeln von entscheidender Bedeutung. Regeln schaffen klare Erwartungen und einen einheitlichen Rahmen für das Verhalten und die Arbeitsabläufe der Mitarbeiter*innen. Sie stellen sicher, dass das Unternehmen und seine Mitarbeiter*innen gesetzliche und behördliche Anforderungen einhalten und rechtliche Risiken minimieren. Einheitliche Regeln steigern auch die Produktivität, indem sie klare Richtlinien für den Umgang mit Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Ressourcen festlegen. Sie vereinfachen Schnittstellen. Schließlich können sie dazu beitragen, Qualitätsstandards in Bezug auf Produkte, Dienstleistungen, Kommunikation, Kund*innenservice und mehr aufrechtzuerhalten. Doch Regeln haben auch die Tendenz, zu wuchern. Und sie sind oft nicht flexibel genug. In allen Organisationen dieser Welt werden viel mehr Regeln geschaffen als abgeschafft.
Ein historisches Beispiel zeigt exemplarisch, welcher Nutzen entstehen kann, wenn unternehmerisch denkende Menschen bestehende Regeln in Frage stellen bzw. sie brechen. In der verarmten Provinz Anhui in den 1970er Jahren kamen kreative chinesische Bäuer*innen auf die Idee, das zwangskollektivierte Land insgeheim untereinander aufzuteilen und eigenverantwortlich zu bewirtschaften. Dieses Geschäftsmodell einer Quasi-Privatisierung verletzte eindeutig die bestehenden Regeln, d.h. sie verstießen gegen das Gesetz. Die kommunistische Wirtschaftsordnung war ideologisch auf Planwirtschaft und gemeinschaftlichen Besitz ausgerichtet. Die Wirkung der Innovation war aber überaus positiv. Schon im ersten Jahr erreichten die Ernteerträge der Regelbrecher*innen die der letzten fünf Jahre zusammengenommen. Dieser beträchtliche Erfolg blieb der Regierung nicht verborgen. Sie beeinflussten die große Reform des Agrarsystems 1984 maßgeblich und führten dazu, dass die Gesetzgebung sehr viel stärker auf Privatbesitz setzte – mit segensreichen Wirkungen für Millionen von Menschen, die sonst verhungert wären.
Auch in der Gegenwart und im Westen ist es oft sinnvoll, bestehende Regelungen zu brechen. In New York führte die Regulierung des Transportwesens beispielsweise dazu, dass eine Taxilizenz mit über einer Million US Dollar gehandelt wurde. Die hohen Kosten führten zu schlechter Qualität. Uber und Lyft umgingen viele der Regelungen, indem sie sich als Technologieunternehmen positionierten. Viele Städte und Länder reagierten auf den Druck, den diese neue Art der Dienstleistung ausübte, und reformierten die Bestimmungen. Ähnliche Wirkungen gingen von vielen anderen Entrepreneur*innen der sogenannten Shared Economy aus, wie Airbnb oder der File Sharing Plattform Pirate Bay. Je größer die technologische oder gesellschaftliche Änderungsgeschwindigkeit ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Gesetze und Bestimmungen veraltet sind und in Wirklichkeit mehr schaden als nutzen.
Regelbrecher*innen können also Treiber des Wandels sein. Auch Intrapreneur*innen dürfen sich nicht zu sehr an bestehenden Regelungen und ihren engen Spielräumen orientieren. Sie müssen die Welt, wie sie ist, in Frage stellen und neu definieren. Sie sind Nonkonformist*innen und müssen dies ausleben können. Innovationen sind schöpferische Zerstörungen, und nur wer über den Tellerrand hinausschaut, wird Dinge verändern können. Ein sehr erfolgreicher Manager drückte es mir gegenüber so aus: „Wenn ich wirklich alle Vorschriften wortwörtlich einhalten würde, dann wäre ich 24 Stunden pro Tag damit beschäftigt, Formulare auszufüllen“.
Dies bedeutet natürlich nicht, dass Intrapreneur*innen als „Quasi-Anarchist*innen“ beliebig agieren und willkürlich alle möglichen Grenzen überschreiten dürfen. Die Skandale um die Umgehung der Diesel-Abgasbestimmungen bei Audi und VW zeigen exemplarisch, was passieren kann, wenn die Grenze zum Verbrechen überschritten wird. Entscheidend ist vielmehr, dass sie sich am eigentlichen Sinn und den Unternehmenszielen orientieren, nicht primär an der Regelkonformität. Schon unter Kaiserin Maria Theresia wurde „erfolgreiche Insubordination“ mitunter explizit belohnt. Intrapreneur*innen benötigen daher einen guten ethischen Kompass und müssen die Unternehmensziele kennen. Was ist legitim? Für wen ist es legitim und nach welchen Maßstäben? In welcher Weise werden Kosten oder Risiken des Regelbruchs mit dem Nutzen für das Unternehmen „verrechnet“? Es ist klar, dass diese Fragen nicht einfach zu beantworten sind, und die Einschätzung eines Intrapreneurs möglicherweise durch Eigennutzmotive beeinflusst sind.
Für Führungskräfte, die Intrapreneurship fördern wollen, bedeutet dies, dass sie interne Regeln immer wieder in Frage stellen sollten. Was ist wirklich nötig? Was ist vielleicht längst überflüssig? Wo ist Flexibilität und eigenes Denken der bessere Weg? Wer weniger Regeln hat, braucht weniger Regelbrecher*innen. Eine Möglichkeit ist beispielsweise, alle Regeln nur für eine bestimmte Zeit aufzustellen. Dieser Zwang zur „Wiedervorlage“ fördert bewusste Entscheidungen. Nur was sich bewährt hat, wird beibehalten.
Neben ihrer Möglichkeit, die formalen Regeln und Strukturen immer wieder zu entschlacken, prägen und beeinflussen Führungskräfte auch die informelle Unternehmenskultur. Ein entscheidender Nährboden für Intrapreneurship ist eine Kultur der Offenheit, des Experimentierens und des Lernens. Eine solche Atmosphäre ist die Voraussetzung dafür, dass Mitarbeiter*innen bereit sind, bestehende Regeln in Frage zu stellen und neue Ideen voranzutreiben. Es braucht die entsprechenden Werte und klare Anreize. Führungskräfte sollten außerdem explizit darauf hinweisen, dass es sinnvoll sein kann, Regeln zu brechen. Sie können und sollten in dieser Hinsicht Vorbild sein. Indem sie selbst demonstrativ Routinen und (unsinnige) Regeln brechen, motivieren sie ihre Mitarbeiter*innen dazu, dasselbe zu tun.
Worauf es in der Praxis ankommt, ist, dass Führungskräfte den richtigen Balanceakt zwischen der Förderung von Regelbrüchen und der Aufrechterhaltung eines gesunden Rahmens finden müssen. Natürlich kann es nicht darum gehen, Regelbrüche blind zu fördern. Sie sollten vielmehr bewusst erfolgen. Chancen und Risiken sollten dabei sorgfältig abgewogen werden. Die Kenntnis der übergeordneten Unternehmensziele, die Einhaltung ethischer Standards und die Berücksichtigung der Auswirkungen von Regelbrüchen sind entscheidend für den Erfolg von Intrapreneurship. So können Unternehmen ihre Fähigkeit, kreativ zu sein, mutig zu handeln und Veränderungen voranzutreiben, wirksam steigern.
Das Übertreten von Regeln gehört zum Intrapreneurship wie der Wind zum Segeln. Weil aber Regeln Innovationen im Weg stehen, sollten Führungskräfte ihre Mitarbeiter*innen ermutigen, bestehende Regeln und etablierte Verfahren in Frage zu stellen, um effizientere oder effektivere Lösungen zu entwickeln, oder neue Marktchancen zu identifizieren. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass der Regelbruch als strategisches Ziel verankert wird. Man kann Wettbewerbe zur Identifikation der unsinnigsten Regeln herbeiführen, oder deutlich machen, dass blindes Befolgen unsinniger Regeln nicht erwünscht ist.
Eine Kultur der Offenheit, des Experimentierens und des Lernens ist die Grundlage für Innovation und die Voraussetzung dafür, dass Mitarbeiter*innen bereit sind, bestehende Regeln in Frage zu stellen und neue Ideen voranzutreiben. Führungskräfte schaffen dafür den Rahmen, leben die entsprechenden Werte und setzen klare Anreize, indem sie lebst ins Risiko gehen und durch ihr eigenes Verhalten demonstrieren, wie man unkonventionell und am Sinn orientiert neue Wege ausprobiert.
Auch wenn Regelbrüche für Innovation wichtig sind, sollte dies stets in bewusster Weise geschehen. Die Risiken und Chancen müssen sorgfältig abgewogen, und die Auswirkungen der Regelbrüche berücksichtigt werden: Was sind die zu erwartenden Konsequenzen, wenn beispielsweise das normale Prüfverfahren abgekürzt werden muss, um rechtzeitig mit dem Produkt am Markt zu sein? Was ist größer, der Nutzen (im Beispiel die Chance auf einen Markterfolg), oder die wahrscheinlichen Nachteile (z.B. durch kritische Risiken in der Produktnutzung oder die Schaffung eines problematischen Präzedenzfalls)? Nicht immer ist klar, was überwiegt – und ein*e Intrapreneur*in, die/der für eine Idee, eine Neuerung brennt, ist möglicherweise nicht objektiv im Urteil. Hier helfen nur Dialog, Diskussion und bewusste Entscheidungen.
Damit die Übung gelingt, müssen Führungskräfte selbst bereit sein, liebgewonnene, aber oftmals unnötige Routinen und Regeln zu brechen, und neue Wege zu gehen. Indem sie dies tun, motivieren sie ihre Mitarbeiter*innen, dasselbe zu tun.
Bei all dem Regelbruch und der Innovation ist es wichtig, dass Intrapreneur*innen sich an ethische Standards halten. Sie sollten sich am eigentlichen Sinn und den Unternehmenszielen orientieren und nicht primär an der Regelkonformität. Lemminge sind keine guten Innovator*innen. Daher ist es wichtig, dass Führungskräfte gemeinsam mit ihrem Team einem guten ethischen Kompass folgen und ihre Handlungen danach ausrichten. Denn oft muss es schnell gehen – und damit die Entscheidungen auch dann gut sind, wenn die Mitarbeiter*innen allein entscheiden, muss man Sensibilität und ein allgemeines Bewusstsein für Sinn und Grenzen von Regelbrüchen entwickeln.
Intrapreneur*innen benötigen Zugang zu Ressourcen, um ihre innovativen Ideen umzusetzen. Führungskräfte sollten sicherstellen, dass sie die nötige Zeit, Finanzen, Werkzeuge, Schulungen und Unterstützung erhalten, um ihre Innovationsprojekte erfolgreich voranzutreiben.
Intrapreneurship aktiv zu fördern bedeutet auch, eine Umgebung zu schaffen, in der Risikobereitschaft und Innovation belohnt werden. Führungskräfte können Intrapreneure durch verschiedene Anreizsysteme motivieren: durch Anerkennung, Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen, finanzielle Belohnungen für erfolgreiche Projekte, etc. Eine positive Anerkennungskultur trägt dazu bei, dass Mitarbeiter*innen bereit sind, Risiken einzugehen und innovative Ideen zu verfolgen.
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