Der FTX-Crash und die Grundregeln der Betriebswirtschaftslehre

09. Dezember 2022

Was wir für die Zukunft daraus lernen sollten

Die Insolvenz der Kryptoplattform FTX ist nicht das Ende, sagt WU-Strategie-Experte Michael König. Im Gegenteil: Die Industrie hat nun die Chance auf einen dringend notwendigen Reifeprozess. Wie wir das Vertrauen in den Kryptomarkt wiedererlangen können und was es braucht, damit ein ähnliches Desaster Kund*innen, Investor*innen und Unternehmen in Zukunft erspart bleibt, erklärt der langjährige Vortragende der WU Executive Academy im Folgenden.  

Ein Computer-Chip mit der Aufschrift FTX zu dem viele Leiterbahnen führen
Wie kann das Vertrauen in den Kryptomarkt wiederhergestellt werden? Foto © shutterstock – Mahambah

32 Milliarden US-Dollar war die Kryptobörse FTX wert, doch dann kam der jähe Absturz. Einer der wichtigsten Handelsplätze für Kryptowährungen musste nach einigen erfolglosen Rettungsversuchen schließlich Insolvenz anmelden. Wäre das nicht schlimm genug, wurde zudem bekannt, dass FTX-Gründer Sam Bankman-Fried über ein anderes Unternehmen Kund*innengelder für riskante Wetten verwendet haben soll.

Ist der Tag des Krypto-Armageddons gekommen?

Der FTX-Crash ist der nächste Rückschlag für den Kryptomarkt, der in den vergangenen Monaten ohnehin schwer unter Druck geraten ist. Sind Bitcoin, Ethereum und andere Krypto-Assets und damit die Vision von der Schaffung eines neuen, innovativen Systems handelbarer, digitaler Vermögenswerte nun am Ende? Keineswegs, sagt Michael König, Senior Lecturer am Department of Strategy and Innovation der WU Wien. „Im Gegenteil, dieser für die ganze Branche schmerzhafte Fall könnte die lang ersehnte Erneuerung einer faszinierenden Industrie bewirken.“

Disruptive Innovationen und das Rattenfänger-von-Hameln-Syndrom

Leider hätten einige Führungskräfte dieses Markts aber Kund*innenmehrwert mit Glückspielautomaten verwechselt, bei denen stets nur das Casino selbst verdient. „Darin liegt das tatsächliche Problem: Das „Rattenfänger-von Hameln-Syndrom“, sagt König. Solche Syndrome würden in der Wirtschaftsgeschichte regelmäßig auftreten, oftmals gleichzeitig mit einem Aufschwung. „Wann immer die Kurve nach oben geht und durch disruptive Innovationen neue Wachstumsmärkte geschaffen werden, passieren Katastrophen ähnlich der FTX-Insolvenz.“

Michael König Portrait

Michael König

  • Strategie-Experte

In diesem konkreten Fall war Gier der entscheidende Faktor für einen Crash. Das große Ziel, die Blockchain für ein ganz neues Ökosystem zu verwenden, ist dadurch in den Hintergrund gerückt. Eine Gier, die nicht erst bei FTX zu beobachten war.

Nach der Schockstarre, in der sich der gesamte Markt nun befindet, kann die FTX-Pleite aber als Chance genutzt werden. „Der Reifeprozess hat spätestens jetzt begonnen. “Kritische Fragen zu stellen ist ein Teil dieses Prozesses – bisher wurden solche Fragen oft vermieden, weil man sich nicht als Außenstehende*r oder Nichtwissende*r darstellen wollte. „Eine verstärkende Rolle haben dabei Soziale Medien gespielt, die gerne glorifizieren und unantastbare Held*innen erschaffen.“

Was wir für die Zukunft daraus lernen können

Doch wie könnte in Zukunft ein Desaster wie jenes von FTX vermieden werden – und zwar aus Sicht der Kund*innen, der Investor*innen sowie der Unternehmen selbst? Strategie-Experte König hat dafür einige Empfehlungen parat.

  • Für Kund*innen

Financial Literacy ist unverzichtbar, soll in etwas Neuartiges, teils Unbekanntes investiert werden. Kund*innen müssen hinterfragen und verstehen, was genau das Produkt ist und welche Chancen beziehungsweise Risiken es birgt. Wissen und Verständnis von Kryptowährungen und Blockchain sind im Speziellen nötig, wenn es um Investitionen in diesem Bereich geht. Was zu gut klingt, um wahr zu sein, ist meistens auch nicht wahr – eine Binsenweisheit für Anleger*innen. „Abgesehen davon sollte Finanzwissen ja schon von der Volksschule an vermittelt werden“, meint König.

Eine Münze mit dem Bitcoin-Symbol darauf
Wissen und Verständnis von Kryptowährungen und der Blockchain sind wichtig für involvierte Personen. Foto © unsplash – Andre Francois McKenzie
  • Für Investor*innen

Investor*innen, darunter auch große, institutionelle, müssten endlich ihre Hausaufgaben machen, warnt König. Dazu gehört in erster Linie eine sorgfältige Due Diligence, auf die manche Investor*innen aber verzichten, weil sie befürchten, dann von anderen überholt zu werden. Auch Kriterien der Governance sollten stärker eine Rolle spielen: Besteht ein unabhängiger Aufsichtsrat? Gibt es einen funktionsfähigen Vorstand mit den üblichen Verantwortungsbereichen? Wie sieht es mit einem internen Kontrollsystem aus? Ist das Unternehmen gut aufgestellt, um auch längere Durstphasen zu überstehen? Solche und ähnliche Fragen sollten beantwortet werden ­– gerade im Kryptobereich werden diese oft vernachlässigt. Die Branche müsste zudem diverser werden, denn derzeit dominieren Männer in den Kryptounternehmen. Diversität ist aber ein wichtiger Faktor für erfolgreiche Unternehmen.

  • Für Unternehmen

Unternehmen lassen sich oft von der Dynamik und der Unerschrockenheit der Kryptoszene mitreißen – und vergessen dann, dass klassische Kriterien für Kaufleute in diesem Bereich gelten sollten. „Sie sollten sich beispielsweise ehrlich fragen, ob das Wachstum noch logisch zu erklären ist, ob sie transparent agieren oder wo ihr nachhaltiger Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen liegt“, sagt König. Der überstrapazierte Begriff der Innovation sollte kritisch hinterfragt werden: Wo liegt überhaupt der reale Nutzen für meine Kund*innen? Bringe ich ihnen die Innovation, von der ich immer spreche oder ist das nur ein hohler Marketingbegriff?

Wegregulieren vs. sanft steuern

König ist sicher, dass die oftmals geforderte Regulierung der Branche nicht unbedingt eine Verbesserung bringen würde. „Die grundlegenden Ideen der Kryptowährungen sollte man nicht wegregulieren, sondern sanft steuern.“ FTX konnte nicht deshalb groß und mächtig werden, weil eine Regulierung gefehlt hat, sondern weil Kund*innen, Investor*innen und das Unternehmen selbst versagt haben – und weil sie beständig weggeschaut haben, als erste Kritik aufkam.

„Kryptowährungen können ein ganz große Zukunft haben, wenn die Grundregeln der Betriebswirtschaft befolgt werden.“ Dabei könnte Europa durchaus seinen eigenen Weg gehen. „Österreichische Unternehmen wie Bitpanda oder Coinpanion sind prinzipiell schon anders aufgestellt und haben zudem auf die jüngsten Krisen gut reagiert“, sagt Michael König.

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