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Was Sie vermutlich noch nicht zum Thema wussten
Das Gelingen der Energiewende ist vermutlich eine der schwierigsten und zugleich wichtigsten Herausforderungen, vor der die Menschheit jemals gestanden ist. Dass die Zeit drängt, die Aufgabe äußerst komplex ist und nur auf globaler Ebene gemeinsam lösbar sein wird, darüber sind sich Expert*innen einig. Jonas Puck, wissenschaftlicher Leiter des Executive MBA Energy Management der WU Executive Academy, räumt im großen ABC der Energiewende mit den gängigsten Mythen zum Thema Energiewende auf und liefert mit jedem Buchstaben pointiertes Hintergrundwissen über wenig bekannte Zusammenhänge zu einem der zentralsten Zukunftsthemen unseres Planeten.
Die Nutzung erneuerbarer Energien aus Ozeanen und Meeren, etwa durch Wellen-, Gezeiten- oder Ozeanwärmekraftwerken, könnte einen nicht unwesentlichen Beitrag im Rahmen der Energiewende leisten, weil es hier zu starken energetischen Bewegungen kommt, die sich grundsätzlich gut zur Stromerzeugung eignen. Allerdings stehen diese Technologien noch am Anfang ihrer Entwicklung und bringen auch Umwelt- und Naturschutzbedenken mit sich. Was bedeuten diese Anlagen für Flora und Fauna, was für die Anrainer und den Tourismus?
Ein weiterer Aspekt: Die Energie entsteht oft dort, wo man sie nicht braucht. Wie bekommt man sie also möglichst ohne Verluste von den Ozeanen zu den Endverbrauchern? Trotz allem ist die Nutzung der Energie aus den Meeren und Ozeanen mit Sicherheit ein aussichtsreiches Entwicklungsfeld für die Energieversorgung der Zukunft.
Um die Erwärmung der Erde zu begrenzen, muss die Weltwirtschaft zügig netto null Emissionen erreichen. Dies ist eine enorme Herausforderung, die drastische Maßnahmen in allen Sektoren erfordert. Die angestrebten +1,5°C über Vorindustrie-Niveau im Jahr 2030 sind de facto nicht mehr zu erreichen, weil es kaum Länder gibt, deren Bemühungen nicht dramatisch gegenüber den vereinbarten Zielen hinterherhinken.
Und es besteht die weitverbreitete Angst – vor allem seitens der Unternehmen - dass steigende Energiepreise einen dramatischen Wohlstands- und Wettbewerbsverlust mit sich brächten. Diese Sorge ist aber bei weitem nicht für alle produzierenden Unternehmen begründet. Abgesehen von energiereichen Betrieben wie etwa der Stahl- oder Zementindustrie machen die Energiekosten eines durchschnittlichen produzierenden Unternehmens lediglich ein bis drei Prozent der Gesamtkosten aus.
Man würde annehmen, dass vor allem ein hoher Ölpreis dazu führt, dass Konsumentinnen und Konsumenten eher auf erneuerbare Energien umsteigen. Das liegt daran, dass Menschen unter einem Hochpreis-Scenario nach alternativen und günstigeren Energiequellen suchen, um Kosten zu sparen.
Hohe Ölpreise haben aber auch Schattenseiten. Öl- und Gaskonzerne gehören zu den größten Investoren in Renewables, weil sie langfristig neue Geschäftsmodelle entwickeln müssen. Diese Investitionen drohen sich zu verzögern oder nehmen ab, solange das aktuelle Öl- und Gas Business erfolgreich ist. Trotz eines günstigen Preis-Szenarios findet der Ausbau der erneuerbaren Energien daher erheblich langsamer statt, als man denken könnte.
Die Produktion sowie Entsorgung von Kunststoffen tragen erheblich zum Klimawandel bei. Da Plastik größtenteils aus Erdöl besteht, werden sowohl bei der Gewinnung des Rohstoffs als auch bei Produktion, Transport und bei nicht fachgerechten Recycling - durch Lagerung auf Deponien (Methan) oder Verbrennen (CO2 und andere Schadstoffe) - Treibhausgase emittiert. Obwohl Wiederverwendung und Recycling von Kunststoffen helfen können, Emissionen zu reduzieren, sind diese Maßnahmen bisher nur begrenzt wirksam.
Zudem gibt es weltweit unterschiedliche Standards, wie mit Altplastik umgegangen wird. Während in der EU die Recyclingrate für Kunststoffverpackungsabfälle im Schnitt knapp über 42% liegt, sind es in den USA lediglich 9%. Schlusslichter bei diesem Thema sind einige afrikanische und asiatische Länder, in denen es wenig bzw. keine Infrastruktur für Abfallmanagement gibt.
Schüler lernen früh, dass Quote und absolute Menge in der Praxis ein großer Unterschied sein können bzw. der eine Wert ohne den anderen oft nicht aussagekräftig ist. Und genauso verhält es sich auch bei der Darstellung des Anteils an fossiler Energie am Gesamtportfolio. Wenn also ein Land stolz behauptet, dass in seinem Energieportfolio die Quote der fossilen Energie um 15% gesunken ist, dann bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die absolute verbrauchte Menge an fossiler Energie zurückgegangen ist. Vielmehr geht die verringerte Quote an fossiler Energie gerade in Wachstumsregionen oft mit einem erheblich erhöhten Energiebedarf einher.
So täuscht die gute Nachricht unter Umständen darüber hinweg, dass die absolute Menge an ausgestoßenem CO2 vielleicht nur deutlich weniger oder sogar gar nicht gesunken ist.
Es gab sie schon zu Zeiten Thomas Edisons: Menschen, die die Glühbirne intensiver nutzten, als es eigentlich nötig gewesen wäre. Effizienzsteigerungen bewirken in der Regel eine Senkung der Verbraucherpreise. Die Rebound-Reaktion (oder Bumerang-Effekt) besagt: Sobald wir eine günstigere Energiequelle nutzen und dabei Energie und Geld sparen können, tendieren wir dazu, mehr davon zu verbrauchen und den Spareffekt damit teilweise aufzuheben. Ein einfaches Beispiel: Man kauft ein sparsames Auto und fährt damit ab sofort auch kurze Wege. Aber auch makroökonomisch wirkt der Effekt. Die Energieersparnis mancher Konsument*innen kann den Energiepreis senken und dadurch zu höherem Verbrauch bei anderen Konsument*innen führen.
Eine indirekte Rebound-Reaktion wäre, dass durch Energieeffizienz gesparte Geld in anderen Bereichen auszugeben, die wiederum mehr Energie verbrauchen. Auch bei der Entwicklung von Produkten kommt die Rebound-Reaktion zum Tragen. Flachbildfernseher sind zwar energiesparender als Röhrenfernseher. Da Menschen aber immer größere Bildschirme kaufen, steigt der Energieverbrauch durch TV-Nutzung trotzdem jedes Jahr.
Bei Gas- oder Atomkraftwerken ist es möglich, den Energie-Output zu steuern. Das ist bei Wind- und Wasserkraft oder Solarenergie schwieriger. An stürmischen und zugleich sonnigen Tagen laden Ökostromkraftwerke sehr viel Strom in die Netze – der Strompreis sinkt in den Minusbereich, ein Systemkollaps droht. Der paradoxe Effekt: Die betroffenen Netzbetreiber*innen müssen ihren Abnehmer*innen Geld bezahlen, damit sie den Überschuss an Strom loswerden.
Ein Beispiel: An windigen Tagen speisen Windräder in Deutschland so viel Strom ins Netz ein, dass Deutschland gezwungen ist, etwa Österreich Geld dafür zu bezahlen, damit es überschüssige Kapazitäten abnimmt, die die Stabilität des deutschen Netzes gefährden. Die Österreicher*innen verwenden diesen zusätzlichen Strom, um via Pumpspeicherkraftwerken Wasser in gebirgige Stauseen zur Energiespeicherung zu pumpen, um es dann abzulassen, wenn der Strom in Deutschland wieder benötigt wird. Eine große Herausforderung der Zukunft wird es sein, Möglichkeiten zur Energiespeicherung zu entwickeln, um das Problem von potenziell überlasteten Stromnetzen zu adressieren.
Die Tipping-Points (auch: Kipppunkte) des Klimasystems beschäftigen schon seit längerem nicht mehr nur Klimaexpert*innen, sondern tauchen in der öffentlichen Diskussion immer öfter auf. Das hat einen guten Grund: Zwar sind die Tipping-Points laut Definition des Weltklimarats IPCC nicht etwa Punkte, ab denen das Klima (wie oft fälschlicherweise behauptet) tatsächlich unumkehrbar „kippt“, sondern ab einem gewissen Punkt geht das (Klima-)System von selbst in einen ganz anderen Zustand über. Wir sprechen also von abrupten, sich negativ verstärkenden Klimaeffekten, die unumkehrbar sein können, aber nicht müssen.
Eine weitere Besonderheit dieser Kipppunkte ist ihr Domino-Effekt: Kipppunkte, die sich gegenseitig - wie Dominosteine - umwerfen. Kippt ein Teilsystem, folgen weitere. Das Ende der Atlantikzirkulation, das Abschmelzen der Pole oder das Auftauen der Permafrostböden sind Beispiele für solche Tipping-Points.
Die Urbanisierung, also das Wachstum von Städten, bringt sowohl Herausforderungen als auch Chancen für den Klimaschutz mit sich. Städte sind Hotspots von Emissionen, aber sie können auch Vorreiter beim Umstieg auf erneuerbare Energien sein. Zum Beispiel durch grüne Gebäude, effiziente Infrastrukturen (Nahverkehr) und nachhaltige Mobilität, etwa beim Car- oder Fahrrad-Sharing. Allerdings sind die grünen Lungen und Naherholungsgebiete in der Regel etwas außerhalb der Stadt.
Gerade das Thema Regionalität, das für das Gelingen der Energiewende eine zentrale Rolle spielt, wird im urbanen Raum besonders evident. Nachhaltige Landwirtschaft, die eine Großstadt wie Wien versorgen könnte, findet außerhalb von Städten statt. Somit kann Urbanisierung nur ein gangbarer Weg in Richtung Zero-Co2-Emissionen sein, wenn es gelingt, die regionale (Nahrungsmittel-)Versorgung mit der Urbanisierung in Einklang zu bringen. Genau hier sind innovative Ansätze, die das Potenzial zu einem echten Gamechanger haben, so wichtig.
Windräder spielen in vielen Regionen der Erde eine wichtige Rolle und Windkraft steht sehr weit oben im Portfolio nachhaltiger Energieträger. Zugleich stehen Windräder aber auch aus ökologischen und gesellschaftlichen Gründen vermehrt in der Kritik. In Deutschland etwa hält sich das Thema Vogelschlag durch Windkraftanlagen hartnäckig in den Medien. Angeblich fallen Unmengen an Singvögeln der Windenergie zum Opfer.
Aktuelle Studien rücken dieses sehr emotional aufgeladene Thema wieder ein bisschen ins rechte Licht. Würde man an allen Stellen, wo es theoretisch in Deutschland möglich wäre, Windräder aufstellen (was in etwa + 90% bedeuten würde), würde die Menge an durch Windräder getöteter Vögel lediglich 1% jenes Vogelschlags, oder besser „Vogelrisses“ ausmachen, der jedes Jahr durch Hauskatzen verursacht wird. Natürlich ist jedes einzelne Leben wertvoll und muss geschützt werden, das Ausmaß des Vogelschlags wird aber oft übertrieben dargestellt.
Eine der größten Herausforderungen nachhaltiger Energieerzeugung stellen mit Sicherheit die politischen Wahlmechanismen in den meisten (demokratischen) Ländern dar. Oft treffen Politiker*innen Entscheidungen nicht nur anhand der Frage, ob eine Maßnahme die beste Lösung für alle Beteiligten (Menschen, Umwelt, etc.) ist, sondern danach, wie sehr sie die Wahrscheinlichkeit ihrer nächsten Wiederwahl oder jener ihrer Partei fördert. Nur so ist es zu erklären, dass viele Maßnahmen umgesetzt werden, die ganz offensichtlich mittel- und langfristig die schlechteste aller Lösungen darstellen.
Hinzu kommt noch, dass gerade bei einem Thema wie der Energiewende Entscheidungen bzw. deren Auswirkungen erst viele Jahre später spürbar werden. Besondere Gefahr geht hier von populistischen Systemen aus, in denen die Menschen keine oder zu wenige Infos bzw. nicht die Möglichkeit haben, Informationen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Deshalb kommt gerade dem Thema Bildung und unabhängigen Medien eine unschätzbar wichtige Rolle beim Gelingen der Energiewende zu.
Der „X-Faktor“ ist das große Fragezeichen, das Unplanbare am Weg zur Zero-CO2-Emissions. Es bezeichnet alle unvorhergesehenen Ereignisse, Entwicklungen oder Technologien, die eine mehr oder weniger große Auswirkung auf das Gelingen der Energiewende haben können. Diese können (auf den ersten Blick) auch negativer Natur sein. Denken wir beispielsweise an die Atomkatastrophe von Fukushima, die gerade in Europa zu einem völligen Umdenken in der Atompolitik geführt hat. Oder den Ukraine-Krieg, der viele von diesen Errungenschaften wieder zunichtegemacht und zu einer wahren Renaissance der Atomenergie geführt hat.
Sie können aber natürlich auch gänzlich positiv und begrüßenswert sein. Etwa bahnbrechende technologische (R-)Evolutionen wie weniger ressourcenintensive Energie-Speicherlösungen, die die Rahmenbedingungen der Energieproduktion rasch völlig verändern können.
Die Stärkung der Jugend im Kampf gegen den Klimawandel ist entscheidend, wie die Bewegung Fridays for Future gezeigt hat. Vielen von uns geht das Thema Klimawandel (noch) nicht so nahe, weil wir derzeit die unmittelbare Auswirkung (noch) nicht, oder nur selten zu spüren bekommen. Vielmehr handelt es sich um ein Zukunftsthema, das vor allem für die Generationen nach uns unmittelbar relevant wird.
Deshalb ist es auch so wichtig, gerade unter der Jugend eine zukunftsfähige Awareness für das Thema zu erzeugen, denn sie sind nicht nur die Führungskräfte der Zukunft, sondern haben gemeinsam auch die Kraft, die Entscheidungsträger*innen von heute davon zu überzeugen, dass es aktuell eigentlich kaum ein wichtigeres Thema als das Gelingen der Energiewende gibt. Und wieder sind es Bildungsinstitutionen, denen hier bei der Awareness-Bildung – sowohl von Jungen als auch Älteren - eine wichtige Aufgabe zuteilwird.
Die Wissenschaft und Forschung spielt eine wesentliche Rolle bei der Erforschung und Entwicklung von Lösungen für den Klimawandel und die Energiewende. Dies umfasst sowohl technologische Innovationen als auch die Erforschung von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Aspekten. Nicht nur beim Thema Effizienz von erneuerbaren Energien, auch bei der Speicherbarkeit von Energie hat die Wissenschaft schon einen großen Beitrag geleistet. Darüber sind sich viele Expertinnen und Experten einig.
Andere behaupten allerdings, dass seitens der Wissenschaft noch viel mehr passieren muss. Gerade wenn es um die Entwicklung und Vermarktung von weiteren alternativen Energieträgern geht, gäbe es noch viel Luft nach oben. Aber es wäre unfair, die Verantwortung allein auf die Wissenschaft abzuwälzen. Auch Politik und Unternehmen können hier einen wertvollen Beitrag leisten, indem sie zusätzliche Mittel für Investitionen in F&E in ihren Jahresbudgets/-etats festschreiben, die explizit für Innovationen im Zusammenhang mit der Energiewende verwendet werden.
Mehr über die Energiewende und Wege zur erneuerbaren Energie, lesen Sie im ersten Teil unseres großen Energiewende-ABCs.