Globalisierungsmythen im Zeitalter von Trump und Brexit

07. Dezember 2017

Von Prof. Phillip Nell, Jan Schmitt und Benoit Decreton

Wer die Medien regelmäßig verfolgt, stellt fest, dass es einen regelrechten Hype um das Thema der Globalisierung gibt. Ob Trump, Brexit, oder Macron, ständig wird die große Debatte befeuert, ob und inwiefern die Globalisierung zu weit gegangen ist oder noch nicht weit genug und ob die Politik sich jetzt in die eine oder andere Richtung bewegt. Was jedoch alle, ob BefürworterIn oder GegnerIn der Globalisierung, zu einigen scheint, ist ihre Annahme, dass sie genau wissen, wie es um die Globalisierung steht. Dabei leiden die Meisten von uns jedoch unter Fehleinschätzungen. Aus unserer Sicht ist es daher an der Zeit, einen Schritt zurück zu gehen und mit statistischen Fakten zwei gängigen Globalisierungsmythen entgegenzutreten.

Eine Hand hält einen Globus
Ob BefürworterIn oder GegnerIn - viele leiden unter Fehleinschätzungen bezüglich des Themas Globalisierung. Foto © CC0 License

Mythos 1: Die Welt ist sehr stark globalisiert.

Das scheint eine Grundannahme zu sein, sowohl auf der Seite der BefürworterInnen als auch auf der Seite der GegnerInnen der Globalisierung. Die langjährige Forschung von Pankaj Ghemawat, Professor an der IESE Business School in Barcelona, zeigt jedoch, dass viele Indikatoren der globalen Integration überraschend niedrige Werte aufweisen, weshalb in Fachkreisen von einem Zustand der „Semiglobalisierung“ gesprochen wird.

Grenzüberschreitende Interaktionen und Verbindungen, wie zum Beispiel Personen-, Informations-, Kapital-, und Handelsströme, haben zwar über die letzten Jahrzehnte zugenommen, aber nur 3% aller Menschen leben außerhalb ihres Geburtslandes, nur 13% der größten Firmen weltweit (Fortune Global 500) werden von ausländischen CEOs geleitet und nur 2% aller Studierenden weltweit sind an einer ausländischen Universität eingeschrieben. Selbst auf Facebook sind nur 16% unserer FreundInnen international und ausländische Direktinvestitionen machen im Schnitt nur 7% aller Bruttoinvestitionen aus.

Der internationale Anteil dieser grenzüberschreitenden Interaktionen ist also oft recht gering und interessanterweise überschätzen wir häufig diesen Anteil. Ghemawat konnte diese Überschätzung anhand von Daten von tausenden Studierenden nachweisen. Wir konnten bei einer öffentlichen Vorlesung an der WU zeigen, dass mehr als 80% der ca. 500 TeilnehmerInnen den internationalen Anteil aller Studierenden und aller CEOs der größten Firmen weltweit deutlich überschätzen. Auf gleiche Weise haben in England zwei unabhängige Studien vor dem Brexit gezeigt, dass die Bevölkerung den Anteil der MigrantInnen der ersten Generation in der Bevölkerung deutlich überschätzt.

 

Mann fährt auf einem Fahrrad
Der Entwicklungsstand von Schwellenländern wird häufig unterschätzt. Foto © CC0 License

Mythos 2: Schwellenländer sind sehr stark unterentwickelt.

Trotz der weit verbreiteten Auffassung einer extrem globalisierten Welt unterschätzen wir den Entwicklungsstand von Schwellenländern teils deutlich. In einem WU-Projekt mit CEMS StudentInnen und mit Unterstützung der schwedischen Nichtregierungsorganisation Gapminder befragten wir Studierende der WU, Technischen Universität Wien und des Juridikums über den Entwicklungsstand verschiedener Schwellenländer, wie beispielsweise Pakistan, Brasilien und Indien. Die knapp 1.200 Antworten zeigten, dass die Studierenden nicht nur oft falsch liegen (der Prozentsatz der korrekten Antworten lag bei ca. 15% für elf Fragen), sondern dass sie den Entwicklungsstand massiv unterschätzen. So schätzten die Befragten die Lebenserwartung in Bangladesch (ca. 72 Jahre) mit nur 60 Jahren, die Mobilfunknetzabdeckung in Nigeria (ca. 99%) mit nur 83% und den Anteil des Dienstleistungssektors am Bruttoinlandprodukt in Brasilien (ca. 71%) mit 44% deutlich schlechter ein.

Wir haben also in zweierlei Hinsicht eine verzerrte Wahrnehmung der Globalisierung. Diese erhöht unserer Meinung nach das Risiko von Fehlentscheidungen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Wahlen, politische Entscheidungen und auch Entscheidungen über Unternehmensstrategien sähen anders aus, wenn wir die Globalisierungsmythen nicht hätten.

Jan Schmitt

Jan Schmitt, MSc. ist PhD-Student am Institut für International Business an der WU Wien. Sein Forschungsschwerpunkt liegt bei internationalen Firmensitzverlagerungen.

Benoit Decreton

Benoit Decreton, MSc. ist PhD-Student am Institut für International Business an der WU Wien. Sein Forschungsschwerpunkt liegt bei Beziehungen zwischen Unternehmenszentralen und deren Tochtergesellschaften.

Der Globalisierungs-Experte Prof. Dr. Phillip Nell ist Akademischer Leiter des Executive MBA Bucharest Programm. Klicken Sie hier um mehr über die MBA-Module zu erfahren.

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