Künstliche Intelligenz und Wirtschaft - vom Schreckgespenst zum Wertschöpfer

12. Juni 2018

Interview mit KI-Expertin Anastassia Lauterbach

Anlässlich ihres Gastvortrages im Rahmen des Global Executive zum Thema „Artificial Intelligence in Business & Society: Quo Vadis?“ stand uns Dr. Anastassia Lauterbach, ehemalige Top-Managerin, Investorin, Entrepreneur und Bestselling-Autorin für ein Exklusiv-Interview zur Verfügung. Im Interview spricht die AI-Expertin darüber, wie sich Unternehmen auf die AI-Revolution vorbereiten können, wie sich AI auf die Zukunft von Arbeit und Beschäftigung auswirken wird und welche die 5 weitverbreitetsten AI-Mythen sind.

Bild eines Managers mit Roboterhand
Künstliche Intelligenz als Schreckgespenst oder Wertschöpfer? Anastassia Lauterbach gibt im Interview Antworten.

In Ihrem neuen Buch mit dem Titel „The Artificial Intelligence Imperative“ geben Sie Unternehmen einen praktischen Fahrplan zur Vorbereitung auf die KI-Revolution an die Hand. Welches sind die drei wichtigsten Aspekte/Herausforderungen, die ein Unternehmen bei der Auseinandersetzung mit KI bedenken sollte?

Bei der Beratung eines jeden Unternehmens denke ich in drei Kategorien: Daten, Architektur und Talente. Unternehmen müssen eine Datenwertschöpfungsstrategie entwickeln, die es ihnen erlaubt, sich das vorhandene Datenmaterial beim Herauskristallisieren strategischer und operativer Prioritäten zunutze zu machen. In der Medienbranche beispielsweise gibt eine Fülle von Input Aufschluss darüber, welche Inhalte die meiste Aufmerksamkeit erhalten, worüber sich Leserschaftsgruppen in sozialen Medien austauschen und was die Konkurrenz auf den Markt bringt. Sie können unstrukturierte Daten und Social Listening nutzen, um Muster zu erkennen und herauszufinden, worauf es wirklich ankommt – und in weiterer Folge auf dieser Grundlage neue Inhalte erschaffen und die Interaktion mit KundInnen auf ein neues Niveau heben. Die Verarbeitung dieser Daten mit Hilfe maschinellen Lernens oder anderer KI-Technologien setzt natürlich eine entsprechende IT-Infrastruktur voraus. Und auch in diesem Zusammenhang gilt: Unternehmen müssen wissen, wo die Prioritäten liegen, wenn es darum geht, welcher IT-Stack Updates zuerst benötigt, was für eine Art von Datenverarbeitungsumfeld am geeignetsten ist, wie sie am besten einen Data Lake schaffen und mit wem sie bei der Hardware idealerweise zusammenarbeiten. Last but not least ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, dass kein einziges Unternehmen alles „intern“ bewerkstelligen kann. Jedes Unternehmen braucht eine umfassende Strategie im Bereich der Weiterbildung und des Einsatzes seiner MitarbeiterInnen. Es wird für Unternehmen ganz selbstverständlich werden, mit freiberuflich tätigen ExpertInnen, InterimsmanagerInnen und externen PartnerInnen zusammenzuarbeiten und (unterschiedlichste) Talente ins Boot zu holen. Neuen Ideen gegenüber offen zu sein und andere Sichtweisen zuzulassen, ist von entscheidender Bedeutung.

Was würden Sie einem Unternehmen traditionellerer Prägung raten, das keine Erfahrung mit KI hat, sich aber die Frage stellt, ob es sinnvoll wäre, diese in seine zentralen Geschäftsprozesse zu integrieren?

KI ist eine Technologie – nicht mehr und nicht weniger. Picasso meinte einst: „Computer sind nutzlos. Sie können nur Antworten geben.“ Unternehmen müssen sich mit einer Reihe strategischer und operativer Fragen auseinandersetzen, bevor sie Überlegungen anstellen können, was für eine Art von maschinellem Lernen sie implementieren sollen. Außerdem muss ihnen klar sein, wie sich die geltenden Bestimmungen zu Datenschutz, Diskriminierung und Transparenz auf den Einsatz der Technologie auswirken. Sobald diese internen und externen Aspekte geklärt sind, die bestehende IT-Infrastruktur analysiert ist und die Zielarchitektur konzipiert wurde, kann es an die Umsetzung maschinellen Lernens gehen. Ich bin äußerst vorsichtig, was AnbieterInnen von Unternehmenssoftware angeht, die im Versuch, ihre Produkte attraktiver zu machen, auf den KI-Zug aufspringen. Manchmal ist es sinnvoller, PartnerInnen mit solider Branchenerfahrung ins Boot zu holen, auch wenn sie kleiner sind. Jedem Unternehmen muss zudem bewusst sein, was es bedeutet, auf KI basierende Cloud-Technologien von Schwergewichten wie Amazon oder Microsoft zu nutzen, und mit welchen Firmen Daten geteilt werden. Bei der Pilotierung maschinellen Lernens sollten Unternehmen einen Portfolioansatz verfolgen und keine Angst vor Fehlschlägen haben – nicht jedes Modell wird funktionieren, und nicht alle AnbieterInnen werden in der Praxis halten, was sie in der Theorie versprechen. Last but not least ist KI für Unternehmen eine wunderbare Gelegenheit, ihre Richtlinien zum Umgang mit Daten und ihren strukturellen Aufbau völlig neu zu denken. Konsequent umgesetzt, wird jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin den Wissensfundus des Unternehmens durch das Hinzufügen von Daten vergrößern, lernen und Entscheidungen in Echtzeit treffen. Das Resultat ist eine Befähigung der MitarbeiterInnen, die weit über das in traditionellen Unternehmen – bei denen Finanzcontrolling und mittlere Führungsebene ausgeprägter sind – übliche Maß hinausgeht.

Bild eines nachdenklichen Roboters
Der Einsatz von KI ist für Unternehmen eine gute Gelegenheit, ihre Richtlinen zum Umgang mit Daten völlig neu zu denken.

Wie wird sich KI auf die Zukunft von Arbeit und Beschäftigung auswirken? Welches sind die schwierigsten ethischen und sozialen Fragestellungen, die in diesem Zusammenhang einer Lösung bedürfen?

Bei der Frage, wie sich KI auf Arbeit und Beschäftigung auswirken wird, geht es um Führung, und Führung erfordert Mut und langfristiges Denken. Große Unternehmen, die über keine langfristige KI-Strategie verfügen, lassen außer Betracht, wie sich Kompetenzanforderungen als Folge der Automatisierung ändern; was zur Disruption von Gemeinschaften, in denen Unternehmen tätig sind, führt; wie eine alternde Belegschaft bei der Anpassung an KI unterstützt werden kann und was Diversität wirklich bedeutet. Teams zu führen, in denen Vielfalt herrscht, ist eine herausfordernde Aufgabe. Interdisziplinäre und interkulturelle Kompetenz ist dabei ein Muss, Mehrsprachigkeit ein wichtiges Erfordernis. Der Wandel wird begleitet sein von der passiven Aggressivität jener, die nicht gewillt sind, sich anzupassen. Glücklicherweise beginnen einige große Fonds wie Blackrock, sich im Hinblick auf ihre Investmentziele Gedanken über langfristige Strategien zu machen. Ich gehe davon aus, dass sich diese Denkart in den nächsten 10 Jahren verstärkt durchsetzen wird, womit es, was Vorstände und Führungsteams anlangt, zwangsläufig zu Veränderungen kommt. Wenn es um die Zukunft der MitarbeiterInnen, aber auch um Fragen der Umwelt und der Verantwortung von Unternehmen geht, wird nachhaltiges Wirtschaften von essentieller Bedeutung sein. Nicht alle werden in diesem Zusammenhang gewinnen. Kurz- und mittelfristig wird es zu größerer Ungleichheit und heftigeren Diskussionen rund um Rahmenbedingungen wie das bedingungslose Grundeinkommen oder die geopolitische Sorge eines Verlustes an Wettbewerbsfähigkeit in Richtung China kommen.

Der CEO von Alibaba, Jack Ma, rechnet damit, dass Roboter als Vorgesetzte und sogar als CEOs von Unternehmen zum Einsatz kommen werden – sie seien objektiver und weniger empfindlich als Menschen. Sind Roboter Ihrer Meinung nach die besseren CEOs?

Laut der neuesten McKinsey-Studie zum Thema Automatisierung hat KI auf die Arbeit von CEOs keine allzu große Auswirkung. CEOs sollen sich um Führung und Strategie kümmern, nicht darum, einen Prozess zu skalieren oder Fehler bei einer bestimmten Tätigkeit zu minimieren. Yann LeCun von Facebook meint, KI verfüge derzeit über die Intelligenz einer Ratte – aktuelle Forschungsergebnisse aus China deuten darauf hin, dass sie mit dem IQ eines fünfjährigen Kindes vergleichbar ist. Im Bereich Deep Learning muss es völlig neue Forschungs- und Entwicklungsansätze geben. Man darf sich nicht darauf beschränken, neuronale Netze durch das Drehen an einzelnen Stellschrauben leistungsfähiger machen zu wollen. Es braucht weiterentwickelte Formen von Silicium auf der Grundlage von Quantum Computing oder Neurotrophic Computing — beides steckt noch in den Kinderschuhen. Jack Ma wird sich also womöglich weitere 30 Jahre gedulden müssen, um der Vision von ersetzbaren CEOs näher zu kommen.

Welches sind die fünf häufigsten KI-Mythen?

  1. Firmen werden KI für sich nutzen können, ohne an ihrer Führungs- und Unternehmenskultur etwas zu ändern.

  2. Künstliche allgemeine Intelligenz ist innerhalb der nächsten 20 Jahre realisierbar.

  3. Durch schädliche Algorithmen (etwa in der Autoindustrie) wird es zu Unfällen kommen.

  4. Europa hat, was KI anlangt, noch immer einen Wettbewerbsvorteil.

  5. Um im Bereich KI arbeiten zu können, muss man Mathematik oder Technik studiert haben.

Künstliche Intelligenz und Big Data sind auch Themen im Global Executive MBA. Mehr Informationen zum Programm finden Sie hier.

Seite teilen