Ist Crowdsourcing tatsächlich die Lösung für alle Innovationsprobleme?

11. Juni 2019

von Prof. Nikolaus Franke

So unterschiedliche Organisationen wie NASA, Coca Cola, Patagonia, Amazon, Greenpeace und Nissan haben eins gemeinsam: Sie setzen auf Crowdsourcing-Wettbewerbe, um ihre Innovativität zu stärken. Die spektakulären Erfolge dieser Methode haben zu einer Explosion an einzelnen Wettbewerben, Crowdsourcing-Plattformen wie Innocentive, Atizo und NineSigma und sogar Unternehmen geführt, deren gesamtes Geschäftsmodell auf dem Prinzip der Innovativität der Masse beruht, wie Threadless und Local Motors. Prof. Nikolaus Franke, Akademischer Leiter des Professional MBA Entrepreneurship & Innovation, analysiert im Folgenden, ob Crowdsourcing tatsächlich eine Innovations-Wunderwaffe ist und warum die Masse bessere Ideen und Konzepte  hat als hochbezahlte interne SpezialistInnen.

Darstellung von Veretzung
Ist Crowdsourcing tatsächlich eine Innovations-Wunderwaffe? Wie gut sind Ideen aus der Crowd wirklich? Foto © CC0 Licence

Die Grundidee von Crowdsourcing ist einfach: Eine Organisation veröffentlicht eine Problemstellung, zu der innovative Lösungen gesucht werden, und schreibt einen Preis für das beste Konzept aus. Jeder, der will, kann mitmachen und Ideen einreichen. Am Ende wird die beste Lösung prämiert. Jeff Howe prägte für den Begriff „Crowdsourcing“ 2006: man bedient sich („sourced“) aus der anonymen Masse, der „Crowd“. Doch das Prinzip ist viel älter. Schon im Jahr 1714 suchte die britische Regierung beispielsweise eine Lösung für das Problem, dass man den Längengrad auf See nicht zuverlässig berechnen konnte. Die Folge von Falschmessungen waren durchschnittlich rund 1.000 Tote pro Jahr – ein schwerwiegendes Problem also, zu dem man intern keine Lösung finden konnte. Während die Fachleute Sternbeobachtungen und Planetenbahnen als vielversprechend ansahen, kam die Gewinnerlösung aus einer gänzlich unerwarteten Richtung. Der Uhrmacher John Harrison schuf eine ganggenaue und schiffstaugliche Uhr, mit deren Hilfe man den Längengrad auf See genau bestimmen konnte.

Crowdsourcing: mega erfolgreich dank ständiger Connectedness

Die extreme Zunahme von Crowdsourcing-Wettbewerben liegt an den gesunkenen Transaktionskosten der Kommunikation. Im Zeitalter von Internet und Connectedness ist es einfacher als je zuvor, die Masse, also eine Vielzahl an potenziellen Problemlösern zu erreichen. Ein zweiter Grund sind die spektakulären Erfolge. So suchte beispielsweise die NASA einen verbesserten Algorithmus zur Nukleotidsequenzausrichtung im Bereich Immunogenomics. Die beste über Crowdsourcing ermittelte Lösung übertraf die Leistungsstärke der intern entwickelten Verfahren um sage und schreibe eine Million Prozent. Wie kommt es dazu?

Zwei Prinzipien erklären die überlegene Lösungskraft von Crowdsourcing-Wettbewerben im Vergleich zu internen Lösungen:

1. Prinzip: Die Selbstselektion

Es ist unwahrscheinlich, dass die internen „Zuständigen“ tatsächlich die besten ProblemlöserInnen für das spezifische Problem sind. Höchstwahrscheinlich gibt es Menschen auf der Welt, die sich im entsprechenden Gebiet besser auskennen, die ein ähnliches Problem schon mal in der Vergangenheit gelöst haben oder die das Problem aus einer neuen Perspektive betrachten und denen entsprechend eine gänzlich unerwartete Lösungsidee kommt – wie im Beispiel des Längengradproblems. Leider weiß man normalerweise nicht, wer diese Menschen sind. Das Prinzip der Selbstselektion sagt, dass diejenigen, die die beste Lösungskompetenz haben, sich selbständig auf das Problem zuordnen. Wer eine Idee hat, macht von selbst mit, muss also nicht gesucht werden. In einem aktuellen Forschungsprojekt des Instituts für Entrepreneurship & Innovation der WU Wien konnten wir beobachten, dass der untersuchte Crowdsourcing-Wettbewerb besonders lösungsstarke ProblemlöserInnen tatsächlich wie ein Magnet anzog. Die Qualifikation der 69 EinreicherInnen überstieg diejenige der angeschriebenen 11.897 potenziellen Einreicher signifikant.

Bild eines roten Gummibärchens, dass aus der Masse hervorsticht
Das Prinzip der Selbstselektion hilft dabei, unerwartete Ideen zu generieren - lösungsstarke ProblemlöserInnen werden wie ein Magnet angezogen. Foto © CC0 Licence

2. Prinzip: Das Gesetz der großen Zahl

Innovative Ideen kommen auch dem schlausten und kreativsten Kopf nicht auf Befehl und umgekehrt findet manchmal auch ein blindes Huhn ein Korn. Die Geschichte ist voll von Beispielen von Menschen, die einmal in ihrem Leben einen genialen Einfall hatten und ihn trotz aller Versuche nie wiederholen konnten. „One-Hit-Wonder“ nennt man das Phänomen in der Musik, doch es ist auch in Wissenschaft und Wirtschaft bekannt. Der Vorteil von Crowdsourcing ist, dass man eine sehr große Zahl von potenziellen ProblemlöserInnen erreicht. Auch wenn deren durchschnittliche Qualifikation geringer ist als die der internen ExpertInnen: die besten Ideen der Masse sind stärker als die Ideen der internen Fachleute. In einem zweiten Forschungsprojekt des Instituts haben wir entsprechend untersucht, ob die Zahl der TeilnehmerInnen oder deren Qualifikationsprofil für den Erfolg im Wettbewerb wichtiger ist. Die Ausgangsdaten waren die Profile von 1.089 TeilnehmerInnen an einem (anderen) realen Crowdsourcing-Wettbewerb. Auf ihrer Basis haben wir rechnerisch 36.400 Crowdsourcing-Wettbewerbe simuliert. Klares Ergebnis: die Größe des TeilnehmerInnenfelds hatte einen stärkeren Einfluss als die durchschnittliche Qualifikation.

Bild einer Menschenmasse bei einem Farbenfestival
Je mehr potentielle ProblemlöserInnen man erreicht, desto kreativer, diverser und besser werden die Ideen. Foto © CC0 Licence

Was bedeutet das für Unternehmen, die innovative Lösungen suchen?

Erstens: Crowdsourcing ist immer dann stark, wenn unklar ist, von wem die beste Lösung kommen wird. Es begünstigt also kreative, schlecht strukturierte und schwierige Probleme. Für Innovationsprobleme ist es besser geeignet als für reine Optimierungen. Man kann darauf setzen, dass es diejenigen anzieht, denen neuartige Lösungen leicht einfallen – und der Wettbewerb sollte so gestaltet sein, dass dieses Prinzip forciert wird.

Zweitens: Bei Crowdsourcing-Wettbewerben sollte man eine große Zahl von potenziellen ProblemlöserInnen ansprechen und zur Teilnahme bewegen. Innovation ist nicht programmierbar und der Faktor Glück spielt eine größere Rolle, als uns manchmal bewusst ist. Das Glück kann man aber in den Griff kriegen, wenn man viele Versuche unternimmt. Erneut ist dies eine Frage der Organisation des Wettbewerbs. Beachtet man diese Prinzipien, dann kann Crowdsourcing tatsächlich eine Wunderwaffe sein.


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