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Entrepreneurship & Innovation Insights von Prof. Nikolaus Franke
Für Start-ups ist sie die Chance auf Wachstum und Erfolg, für ManagerInnen in etablierten Unternehmen regelmäßig der schlimmste aller Alpträume: Disruption. Wenn sich die Spielregeln in einer Branche ändern, wenn scheinbar in Stein gemeißelte Erfolgsfaktoren plötzlich nicht mehr gelten und die „Logik“ der Wertschöpfung auf den Kopf gestellt wird, dann kann dies eine existenzielle Bedrohung für bestehende MarktführerInnen sein.
Prof. Dr. Nikolaus Franke, Akademischer Direktor des Professional MBA Entrepreneurship & Innovation der WU Executive Academy und Leiter des Instituts für Entrepreneurship & Innovation an der WU Wien, erklärt wie sich Unternehmen und Führungskräfte gezielt vor Disruption schützen können.
Es ist noch gar nicht lange her, dass Nokia der Weltmarktführer für Mobiltelefone war und dass Kodak den Fotomarkt dominierte. Eine Reise buchten Menschen grundsätzlich im Reisebüro und in jeder Straße gab es eine Videothek. In all diesen Märkten haben Disruptionen stattgefunden und sie damit von Grund auf verändert. Heute schaffen Digitalisierung und Globalisierung neue Herausforderungen. SiegerInnen sind meist Start-ups oder QuereinsteigerInnen, die die neuen Regeln schneller beherrschen, VerliererInnen sind die bis dahin führenden Unternehmen. Zum Prozess der disruptiven Veränderung gibt es eine Reihe von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Sie stellen wichtige Anhaltspunkte für ManagerInnen und Unternehmen dar, die aus dem Schrecken eine Chance machen wollen.
Jedes Unternehmen ist durch Disruption gefährdet. Ein stabiler Befund ist jedoch, dass gerade erfolgreiche Unternehmen diese Gefahr ignorieren. Je größer der Erfolg in der Vergangenheit, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man es sich zufrieden in der Komfortzone gemütlich macht. Es ist wie beim alten Witz, wo jemand vom höchsten Hochhaus der Welt fällt und bei jedem Stockwerk, an dem er vorüberfliegt, erleichtert ruft: „Bis hierhin ist ja alles gut gegangen“. Es ist eine wichtige Führungsaufgabe, die Gefährdung deutlich zu machen und der Organisation Trägheit und Selbstzufriedenheit auszutreiben – gerade in guten Zeiten.
Kennzeichnend für viele Disruptionsopfer ist, dass sie stark innenorientiert agiert haben. Je größer ein Unternehmen ist, desto wichtiger wird der Faktor Politik und desto größer der Anteil von MitarbeiterInnen, die abgekoppelt vom Marktgeschehen agieren. Um Signale einer bevorstehenden Disruption frühzeitig zu empfangen, ist Außenorientierung entscheidend. Kennzeichnend für disruptive Innovationen ist dabei, dass sie aus unerwarteten Richtungen kommen. Es genügt also nicht, die eigenen KundInnen und die aktuellen WettbewerberInnen zu beobachten. Die regelmäßige Analyse analoger Märkte und Lead-UserInnen-Studien sind Methoden, die den Blick über den Tellerrand hinaus schärfen.
In vielen Fällen, in denen erfolgreiche Unternehmen disruptiert werden, stellt man danach fest, dass das Wissen um die Bedrohung lange bekannt war – das Unternehmen aber zu langsam reagiert hat. Je größer ein Unternehmen, desto mehr Personen und Abteilungen sind an Entscheidungen beteiligt. Dies führt zu endlosen Sitzungen, Strategiemeetings und Diskussionen. Verzögerungen, halbherzige Kompromisse und verwässerte Verantwortung sind die Folge.
Doch Zeit ist kostbar – oft ist der Zeitvorsprung das einzige Kapital des Disruptors, und die etablierten Unternehmen tun unbewusst vieles, um ihn zusätzlich zu verlängern. Die Konsequenzen für Unternehmen, die sich schützen wollen, sind also Dezentralisierung und die Einrichtung kleiner selbständiger Einheiten. In der Gestaltung von Prozessen ist eine konsequente Modularisierung oft wichtiger als die Optimierung der Effizienz.
Wer flexibel neuen Chancen nachgehen möchte, wird unweigerlich feststellen, dass es dagegen enorme innerbetriebliche Widerstände gibt. Der Grund ist, dass eine Disruption als schöpferische Zerstörung auch VerliererInnen schafft. Wer seine Karriere auf Fähigkeiten aufbaut, die überflüssig zu werden drohen, wird sich gegen die Veränderung wehren. Dies gilt auch auf Ebene der Gesamtorganisation: die Disruption macht aus Investitionen der Vergangenheit Sunk Costs – es erscheint also kurzfristig vernünftig, sie zu bekämpfen. Langfristig gesehen ist es jedoch besser, man disruptiert sich selbst, als dass andere es tun. Entsprechend wichtig ist die Rolle der Führung. Ohne energischen Einsatz der Führung wird sich die Trägheit durchsetzen.
Ausgangspunkt für disruptive Veränderungen ist stets eine Innovation. Der Königsweg zum Schutz vor Disruption ist daher, selbst der Disruptor zu sein. Um aus der Bedrohung eine Chance zu machen, ist notwendig, dass sich das Unternehmen konsequent auf Innovation ausrichtet.
Disruptive Innovationen sind jedoch etwas anderes als inkrementelle Veränderungen. Diese Erweiterung oder Steigerung des Bestehenden beherrschen große, etablierte Unternehmen oft sehr gut. Disruption bedeutet aber, einen grundsätzlich neuen Ansatz zu wagen – eine neue Technologie, eine neue Kombination, ein neues Geschäftsmodell. Zu den oben genannten Eigenschaften von Außenorientierung, organisatorischer Flexibilität und dem Willen zur Innovation kommen eine innovationsorientierte Führung, eine Kultur, die Kreativität und Mut fördert und eine gezielte Ausrichtung der Prozesse auf die Generierung des Neuen – und nicht auf die Verteidigung des Alten. Dies sind gewaltige Herausforderungen für etablierte Unternehmen. Aber nur wer sie annimmt, wird im Zeitalter der Disruption erfolgreich sein.