Corporate Governance 4.0

16. August 2016

Die neue Rolle von AufsichtsrätInnen

Im Gespräch mit Prof. Susanne Kalss und Dkfm. Gerhard Griller


Sie sind BeraterInnen, KommunikatorInnen und RisikoeinschätzerInnen und mittlerweile in KMUs und traditionellen Familienunternehmen genauso zuhause wie in internationalen Konzernen: Die Tätigkeit von AufsichtsrätInnen hat sich in den letzten Jahren völlig geändert. Ihre Aufgaben sind komplexer, ihre Einsatzgebiete vielfältiger geworden.


Im folgenden Interview diskutieren Prof. Susanne Kalss, wissenschaftliche Leiterin des Governance Excellence Programms der WU Executive Academy und Professorin für Zivil- und Unternehmensrecht an der WU, und Dkfm. Gerhard Griller, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Gebauer & Griller Kabelwerke GmbH, über die neue Rolle von AufsichtsrätInnen, über spannende Betätigungsfelder abseits internationaler Unternehmen und über besondere fachliche und soziale Kompetenzen, ohne die diese anspruchsvolle Tätigkeit zukünftig nicht mehr möglich sein wird.



Frau Prof. Kalss, nicht selten geraten Firmen oder sogar ganze Wirtschaftsbereiche aufgrund von Missmanagement wirtschaftlich ins Straucheln. Könnte man diese unerwünschten Entwicklungen aus Ihrer Sicht durch eine frühzeitige Einbindung der entsprechenden AufsichtsrätInnen verhindern?
Prof. Kalss:
Ja, ganz gewiss ist ein offener und zeitgerechter Diskussionsprozess zwischen Vorstand und Aufsichtsrat über Entwicklung und mögliche Krisenszenarien der Gesellschaft ein ganz entscheidender Faktor, um Fehlentwicklungen zu verhindern oder jedenfalls noch einzufangen und umzulenken. Dabei geht es um konstruktiv-kritische Analyse in laufenden Prozessen und nicht bloß um interne ex-post Betrachtungen durch den Aufsichtsrat. Das setzt Vertrauen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat einerseits und hohe gemeinsame Kompetenz des AR-Gremiums in seiner Gesamtheit voraus.

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Foto © www.sebastianfreiler.com

AufsichtsrätInnen gibt es ja nicht nur in großen, börsennotierten Unternehmen, sondern auch bei KMUs und traditionellen Familienbetrieben, die gerade in Österreich weitverbreitet sind. Sehen sie hier, was die Tätigkeit von AufsichtsrätInnen anbelangt, Unterschiede?

Prof. Kalss: Ja definitiv. Ein ganz wesentlicher Unterschied besteht darin, dass die Rolle des Eigentümers/der Eigentümerin und des Aufsichtsorgans zusammenfallen; das kann zu einer Verstärkung der Identifikation und des Interesses einerseits führen und somit das Engagement noch verdoppeln; zugleich können auch Interessenskonflikte noch deutlicher werden, weil die Interessen der GesellschafterInnen und der Gesellschaft gerade bei mehreren EigentümerInnen nicht immer harmonieren. Gesellschaftsrechtliche Aufgaben und Funktionen und Rollenbilder aus der Familie kommen in einigen wenigen Personen zusammen, was die Aufgabe besonders fordernd aber zugleich auch besonders wichtig macht.

Herr Dkfm. Griller, Sie sind seit vielen Jahren Aufsichtsratsvorsitzender der Gebauer & Griller Kabelwerke GmbH, einer der führenden Hersteller von Kabel, Leitungen und Kabelsätzen für die Automobil, Aufzug- und Fahrtreppenindustrie.

Wo liegen Ihrer Meinung nach die Unterschiede, was das Wesen der Aufsichtsratstätigkeit anbelangt?

Dkfm. Griller: Ich sehe das ähnlich wie Frau Prof. Kalss. AufsichtsrätInnen haben zwar in Aktiengesellschaften ungleich mehr Bedeutung und Verantwortung als in einem Familienunternehmen in der Rechtsform einer GmbH. Dennoch gewinnen sie auch hier mehr und mehr an Gewicht und ist neben der klassischen Kontrollfunktion besonders vorteilhaft, wenn es um eine institutionalisierte Informationsvermittlung innerhalb des Unternehmens und um eine reibungslose Zusammenarbeit mit den ArbeitnehmerInnen geht.

Warum sollten gerade AufsichtsrätInnen von traditionellen Familienunternehmen wie dem Ihren ein einschlägiges Weiterbildungsprogramm ins Auge fassen?

Dkfm. Griller: Die äußeren Rahmenbedingungen bewirken einen Veränderungsprozess. Dadurch kommt es zu einer Komplexität, die mit herkömmlichem Unternehmertum allein nicht immer zu bewältigen ist. Der traditionellen, aufbauenden Unternehmerpersönlichkeit folgt oft ein hochqualifiziertes Management-Team. Die Doppelfunktion von operativer Führung und deren Selbstkontrolle verliert an Bedeutung. Dadurch wird die Rolle von AufsichtsrätInnen speziell in traditionellen Familienunternehmen oder KMUs immer wichtiger.

Die Anforderungen an das fachliche Wissen und soziale Kompetenzen von AufsichtsrätInnen steigen ständig. Welchen Beitrag kann hier das Governance Excellence Programm leisten?

Prof. Kalss: Unser Kurs an der WU gibt einen guten und kompakten Überblick über die rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Grundlagen. Der Lehrgang soll sensibilisieren, worauf es wirklich ganz zentral bei der Aufsichtsratstätigkeit ankommt – er kann aber unternehmerische und tätigkeitsbezogene Erfahrung ebenso wenig ersetzen wie wechselseitiges Vertrauen der Beteiligten. Der Lehrgang vermittelt nicht nur die notwendigen Kenntnisse und sensibilisiert auf die relevanten Themen, sondern ermöglicht es auch auf einfache Weise, Best-Practice-Beispiele von den Vortragenden und anderen TeilnehmerInnen kennenzulernen und diese zu diskutieren.

Dkfm. Griller: Das war auch mein Beweggrund, den Lehrgang zu absolvieren. Nach vielen Jahren der Tätigkeit als Geschäftsführer unseres Unternehmens, bin ich 2009 in den Aufsichtsrat gewechselt. Für diese für mich neue Funktion wollte ich vorab Informationen und Einblick gewinnen. Die Lehrinhalte, vor allem aber die Diskussionen mit den Vortragenden, und mit den anderen TeilnehmerInnen haben mir für die Praxis wichtige Erkenntnisse gebracht, auf die ich jetzt zurückgreifen kann.

Das Programm richtet sich aber nicht nur an aktive AufsichtsrätInnen, sondern auch an andere Aufsichtsorgane von Unternehmen, etwa NPOs oder NGOs, und Personen, die eine Aufsichtsratstätigkeit anstreben. Wie können diese Zielgruppen hier profitieren?

Prof. Kalss: Neben dem Thema der besonderen Zielsetzung der NPO Einrichtung sind ja die Aufsichtsthemen ziemlich gleich und kann auch der unmittelbare Vergleich von Non-Profit und Profit-Organisationen und die Herangehensweise an parallele Themen und Fragen sehr erkenntnisreich sein. Die Sinnhaftigkeit gut vollzogener Aufsicht ist nicht auf gewinnorientierte Unternehmen beschränkt; die Fragen werden in dem Lehrgang in gleicher Weise angesprochen.

In den vergangenen Jahren konnte vermehrt ein Wandel von einer reinen Überwachungstätigkeit hin auch zu einer Beratungstätigkeit der AufsichtsrätInnen gegenüber den Vorständen beobachtet werden. Ist das eine Entwicklung, die Sie begrüßen?

Prof. Kalss: Auf jeden Fall. Aufsichtsräte sind mehr als kontrollierende RevisorInnen im Nachhinein – gefragt ist sein kritischer begleitender Dialog – sie sind einfach die ersten RisikoeinschätzerInnen der Vorhaben, die ihnen der Vorstand oder die AufsichtsrätInnen vortragen. Sie sind aber jedenfalls nicht die MacherInnen und GestalterInnen, sondern in unserem dualen System nur die BegleiterInnen und erste gute KritikerInnen. Sie müssen sich auch positiv in dieser Rolle wiederfinden.

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