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Was Sie vermutlich noch nicht zum Thema wussten
Das Gelingen der Energiewende ist vermutlich eine der schwierigsten und zugleich wichtigsten Herausforderungen, vor der die Menschheit jemals gestanden ist. Dass die Zeit drängt, die Aufgabe äußerst komplex ist und nur auf globaler Ebene gemeinsam lösbar sein wird, darüber sind sich Experten einig. Jonas Puck, wissenschaftlicher Leiter des Executive MBA Energy Management der WU Executive Academy, räumt im großen Energiewende-ABC mit den gängigsten Mythen zum Thema Energiewende auf und liefert mit jedem Buchstaben pointiertes Hintergrundwissen über wenig bekannte Zusammenhänge zu einem der zentralsten Zukunftsthemen unseres Planeten.
Vielen Staaten klassifizieren Atomenergie heute als erneuerbare bzw. ‚grüne‘ Energie. Das stimmt allerdings so nicht - Atomenergie ist zwar weitestgehend CO2-emissionsfrei, nicht aber generell frei von Emissionen. Ganz im Gegenteil: Sie produziert atomaren Müll, der gelagert werden muss und – je nach radioaktivem Element – eine Halbwertszeit von Jahrzehnten bis zu vielen Jahrmillionen hat. Wie wir durch die Zwischenfälle in Tschernobyl oder Fukushima oder durch die Kampfhandlungen in unmittelbarer Nähe des größten Atomkraftwerk Europas in Saporischschja in der Ukraine gesehen haben, ist Atomkraft darüber hinaus nicht 100%ig kontrollierbar. Dies gilt zwar auch für praktisch alle anderen ‚Energiequellen‘, aber genau betrachtet ist die Häufigkeit von größeren Störungen oder Ausfällen bei vielen anderen ‚Quellen‘ sogar weitaus höher. Bei Atomkraft ist das Problem allerdings nicht die Wahrscheinlichkeit, sondern die mögliche Konsequenz eines Risikoeintritts – das Sperrgebiet rund um Tschernobyl ist hierfür ein Mahnmal. Ob Atomenergie daher eine sinnvolle Brückentechnologie ist bis erneuerbare Energiequellen ausreichend entwickelt und zuverlässig sind, ist also nicht zuletzt eine Frage der Risikointerpretation der politischen Entscheidungsträger*innen.
Eine der größten Herausforderungen für das Gelingen der Energiewende ist die Frage nach der effizienten Speichermöglichkeit von Energie (insbesondere Elektrizität), um Menschen auch dann mit Energie versorgen zu können, wenn diese gerade nicht ‚produziert‘ wird. Das ist vor allem bei erneuerbaren Energien ein großes Thema - drehen sich Windräder nicht oder scheint keine Sonne, wird auch kein Strom erzeugt. Aktuell kommt insbesondere Lithium-Batterien eine große Rolle bei der Lösung der Speicherproblematik zu. Die Crux an der Sache: Batterien benötigen bei der Herstellung seltene Erden. Und wie der Name schon impliziert, kommen sie im Vergleich zu anderen Rohstoffen nur selten vor.
Was das ganze wirtschaftspolitisch verkompliziert, ist die Tatsache, dass diese Erden global gesehen sehr ungleichmäßig verteilt sind: Mit einem Anteil von über 60% dominiert China die Herstellung der Metalle, geschätzte 44 Millionen Tonnen an Reserven liegen in China. Damit besitzt das Reich der Mitte doppelt so viel an Vorkommen im Vergleich zum Zweitplatzierten Vietnam. Wenn also seltene Erden das ‚Öl‘ des 21. Jahrhunderts werden, was bedeutet das dann das für die geopolitische Machtverteilung?
Der Perpetuum-Mobile-Traum aller Ökonom*innen: Eine Kreislaufwirtschaft, bei der man alle Ressourcen, die in das System hineinfließen, anderweitig wiederverwerten kann – ein endloser und per Definition nachhaltiger Kreislauf. Klingt gut, hat nur einen kleinen Haken, weil so ein System in der realen Welt nicht existiert – die Wissenschaft ist sich einig, dass diese Idee mindestens einem thermodynamischen Hauptsatz widerspricht.
Allerdings: Wenn es gelingt, die Produktion und den Verbrauch so zu gestalten, dass bestehende Materialien und Produkte so lange wie möglich geteilt, geleast, wiederverwendet, repariert, aufgearbeitet und recycelt werden, dann wäre damit ein riesengroßer Schritt in Richtung Zero-CO2-Emissionen und erfolgreiche Energiewende geschafft – auch ohne Perpetuum Mobile einer 100-prozentig zirkulären Wirtschaft.
Innovation müsste doch zu mehr Energieeffizienz und somit zu einer besseren Energiebilanz beitragen. Das ist eine Annahme, die der Realität in Zeiten der Digitalisierung allerdings leider oft nicht standhält: Innovation führt nicht notwendigerweise dazu, dass wir weniger Energie verbrauchen. Laut einer Studie von Morgan Stanley ist etwa das Mining von Kryptowährungen sehr energieintensiv, wobei allein das Bitcoin-Mining die gleiche Menge an Strom benötigt wie die gesamte jährliche Stromerzeugung der Niederlande oder 0,5 % des gesamten weltweiten Stromverbrauchs.
Vor allem die immer intensivere weltweite Nutzung von KI sorgt dafür, dass nicht nur der Bedarf an Computern bzw. Rechenleistung exponentiell steigt, sondern gleichzeitig auch der Hunger nach seltenen Erden, die für die Erzeugung der Hardware benötigt werden. Zukünftig könnte genau das zu einem echten Show-Stopper beim ungehinderten Wachstum im Bereich der Digitalisierung werden, weil es zu wenig (verfügbare) Ressourcen gibt, die der rasanten Entwicklung standhalten. Das Ergebnis: ein weltweiter Verteilungskampf, den wir auch schon aus der jüngeren Geschichte sehr gut kennen.
Während Elektroautos keine CO2-Emissionen beim Fahren verursachen, ihr Motor weitaus effizienter ist als jener von Verbrennern, ist ihre Gesamtbilanz doch nicht 100% ‚grün‘: Der Abbau von Rohstoffen für Batterien und die Produktion der Fahrzeuge selbst verursachen erhebliche Emissionen. Zudem hängt der Umweltnutzen eines Elektroautos stark davon ab, wie der für seinen Betrieb verwendete Strom erzeugt wird. Und: Wie sieht es mit dem Recycling der Autos und vor allem der Batterien aus?
Hier gibt es bei den entsprechenden Recycling-Technologien noch erheblichen Nachholbedarf. Außerdem stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die Zukunft der Mobilität wirklich im Individualverkehr liegen kann und wie eine Substitution durch öffentlichen Verkehr sinnvoll erfolgen kann – auch im ländlichen Raum.
Der Finanzsektor spielt eine entscheidende Rolle bei der Finanzierung der Energiewende, denn die Wende benötigt erhebliche Investitionen. Für Investor*innen wird, das zeigen aktuelle Studien, die Nachhaltigkeit ihrer Investments immer wichtiger. Die Frage, ob und wie viel jemand in ein Energieprojekt investiert, hängt aber natürlich auch weiterhin zu einem erheblichen Teil von der finanziellen Attraktivität des Investments ab: Wie hoch ist mein Gewinn und mit welcher Wahrscheinlichkeit erhalte ich diesen? In zahlreichen Energiebereichen sind für viele Investor*innen aktuell Gewinnhöhe und Gewinnwahrscheinlichkeit zu gering. Das hat vielen Gründe, zum Beispiel sind neue Technologien natürlich regelmäßig mit einem höheren Risiko verbunden. Aber einige Aspekte sind auch sehr spezifisch für den Energiebereich. Die Energiepreise sind in den meisten Ländern vom Staat reguliert, damit sich auch Menschen mit geringem Einkommen Energie leisten können. Dies ist unumgänglich, um die Energiewende sozialverträglich zu gestalten. Aus Sicht des Marktes sind diese regulierten Preise aber oft zu niedrig – Investitionen rechnen sich nur bedingt. Die Herausforderung wird es daher zukünftig sein, eine gesunde Mitte zwischen sozialer Verträglichkeit und unternehmerischer Attraktivität zu finden.
Die Anpassung der Stromnetze (Grids) an die neuen Realitäten ist eine der großen Herausforderungen der Energiewende. Hier handelt es sich nicht nur um ein Problem von Entwicklungsländern, auch in Europa und den USA sind erhebliche Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur nötig. Interessanterweise beruht ein Teil dieser Notwendigkeit auf der verstärkten Einspeisung von Elektrizität aus erneuerbaren Energien. Das wiederum stellt Stromnetzanbieter*innen vor große Herausforderungen, weil Zeitpunkt und Intensität der Einspeisung nicht so gut kontrolliert werden können wie z.B. bei Gaskraftwerken. So besteht die Gefahr von Überlastungen und Netzausfällen. Zudem liegen die Orte der Einspeisung oft weit entfernt von den Stromverbraucher*innen. Da auch in vielen Industrienationen viele (über)regionale Netze nicht den neuesten Standards entsprechen und überaltert sind, besteht hier ein Investitionsbedarf. Dies gilt umso mehr für weniger entwickelte Nationen. So erzeugt eine gewollte und unbedingt notwendige Transformation auch außerhalb ihres Kernbereichs die Notwendigkeit zur Veränderung und Investition. Kurzfristig erzeugt dies zwar erhebliche Kosten, langfristig bedeutet es aber eine Verbesserung der Versorgungssicherheit. Zudem darf man nicht vergessen, dass aufgrund des Alters vieler Netze auch ohne Energietransformation hohe Investitionen notwendig gewesen wären.
Hydrogenium, also Wasserstoff, gilt für viele als vielversprechende Energiequelle. Dies gilt insbesondere für Sektoren, die schwer zu dekarbonisieren sind, wie etwa Teile der chemischen Industrie oder der Stahlproduktion. Allerdings sind sowohl die Herstellung von Wasserstoff als auch seine Lagerung und sein Transport technisch und wirtschaftlich anspruchsvoll. Auch ist die Herstellung von Wasserstoff selbst ist sehr energieintensiv.
Wasserstoff hilft jedoch aktuell sehr, die Emissionen besonders energieintensiver Prozesse zu reduzieren. Wirklich emissionsfrei ist nur grüner Wasserstoff, der aus erneuerbarer Energie erzeugt wird. Grauer Wasserstoff wird durch Aufspaltung von Erdgas gewonnen – hierbei entstehen Co2-Emissionen. Ob sich Wasserstoff als der große Gamechanger für die Energiewende durchsetzen wird, ist unter Experten umstritten: Die einen sind davon überzeugt, die anderen gehen davon aus, dass sich andere Technologien durchsetzen werden.
Die Bekämpfung des Klimawandels erfordert internationale Zusammenarbeit. Nur wenn eine große Zahl an Ländern ihren Teil dazu beitragen, können die globalen Klimaziele erreicht werden. Das zeigen zum Beispiel die Herausforderungen rund um die globale Regulierung von Emissionen. Länder mit sehr strikter Regulierung sind für Unternehmen mit hohen Emissionen weniger attraktiv als Länder mit weniger strikten Regulierungen. Das liegt ganz einfach an den erhöhten Kosten der Produktion.
Wenn es nun Länder mit weniger starker Regulierung gibt, bevorzugen emissions-intensive Unternehmen diese bei der Standortwahl, was zahlreiche Studien belegen. Anstelle von Investitionen in die Reduktion von Emissionen erzeugen Emissions-Regulierungen daher oft nur globale Produktionsverlagerungen bei gleichem Emissionsvolumen – im Übrigen dasselbe Prinzip, das auch Steueroasen wie die britischen Jungferninseln, Bermuda, oder die Schweiz verfolgen: Sie profitieren zulasten anderer Länder. Deshalb ist gerade bei der Regulierung von Emissionen ein koordiniertes Miteinander im globalen Konzert unabdingbar.
Eines ist klar: Die Energiewende darf nicht auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit gehen, deshalb ist auch das Konzept der "Just Transition" von zentraler Bedeutung – „Just“ im Sinn des englischen „gerecht“. Der Übergang zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft wird nicht nur technische, sondern auch soziale Herausforderungen mit sich bringen. Wie können Arbeitsplätze etwa in fossilen Industrien erhalten oder umgewandelt werden? Was ist mit den Energiepreisen, die eigentlich oft viel zu niedrig sind, um ein Umdenken – vor allem in der westlichen Welt – zu bewirken?
Wenn die Preise stiegen, würde sich das wirtschaftliche Wachstum gerade in den weniger entwickelten Regionen der Erde deutlich verringern, was unfair ist, denn wir würden so jene am meisten bestrafen, die bis dato – historisch gesehen – am wenigsten zur Klimaerwärmung beigetragen haben. Daher ist sowohl innerhalb einzelner Länder als auch im supranationalen Staatenverbund zentral, nicht nur die technischen Lösungen, sondern auch deren soziale Konsequenzen im Blick zu behalten. Nur so kann eine sozial ‚gerechte‘ Lösung gefunden werden.
Die Dringlichkeit sowie die komplexen Zusammenhänge des Klimawandels entsprechend zu vermitteln, ist eine zentrale Aufgabe. Eine wirksame Kommunikation ist daher ein wichtiger Schlüssel, um das Bewusstsein und die Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen bei den Menschen zu erhöhen und den Einzelnen zu Verhaltensänderungen zu bewegen. Gerade was Verhaltensänderungen anbelangt kann durch klarere und besser koordinierte nationale und internationale Kampagnen viel erreicht werden: Wenn jedem Einzelnen bewusst wird, dass wir große Verbesserungen im Co2-Ausstoß schon durch kleine Verhaltensänderungen ohne einen erheblichen Wohlstandsverlust erreichen können, ist viel zu gewinnen. Kleine, aber konsequent beachtete Maßnahmen haben nämlich eine durchschlagende Wirkung: Auf regionale Produkte achten, bewusst einkaufen (1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel werden weltweit weggeworfen, das ist ein Drittel der Gesamtproduktion – gleichzeitig ist die Landwirtschaft einer der weltweit größten CO2-Emittenten), Raumtemperatur im Winter um 2°C reduzieren, das Licht abdrehen und die Heiztemperatur reduzieren, wenn ich ins Bett gehe, etc. Diese Liste ließe sich beliebig fortführen. Was es dafür braucht: klare und überzeugende Argumente, verpackt in eine gute und koordinierte Kommunikation, die jeder versteht und die jeden erreicht.
Viele Studien belegen, dass bei steigendem Wohlstand auch die CO2-Emisssionen steigen. Das bedeutet auch, dass ein Großteil der Emissionen der Vergangenheit aus den Industrienationen stammt. Was wir in diesem Zusammenhang in der öffentlichen Diskussion außer Acht lassen, ist, dass Länder wie China, Indien oder Brasilien - obwohl sie aktuell enorm viel CO2 ausstoßen – nur einen geringen Anteil an der Klimaerwärmung der letzten 100 Jahre haben. Ihnen jetzt anzukreiden, dass sie auch gerne den Wohlstand hätten, wie er seit Jahrzehnten im Westen üblich ist, erscheint also nicht fair.
Was es bräuchte, ist eine clevere Strategie, die steigenden Lebensstandard von steigenden CO2-Emissionen entkoppelt bzw. den Zusammenhang zumindest deutlich abschwächt. Dies kann nur durch funktionierende internationale Zusammenarbeit funktionieren. Deshalb sind Vereinbarungen wie das Pariser Klima-Abkommen so wichtig, weil der Klimawandel nur gelingen kann, wenn die Welt größtmöglich koordiniert agiert.
Verpassen Sie nicht Teil 2 des großen Energiewende ABCs.