FaceReader-Technologie: was der Gesichtsausdruck beim Online Surfen verrät

16. Mai 2018

von Prof. Nikolaus Franke

Eine innovative Software scannt das menschliche Gesicht und bestimmt auf Basis des Gesichtsausdruckes, welche Emotionen bei der Person gerade vorherrschen. In einem internationalen Forschungsprojekt hat Prof. Nikolaus Franke, Akademischer Direktor des Professional MBA Entrepreneurship & Innovation der WU Executive Academy und Leiter des Instituts für Entrepreneurship & Innovation der WU Wien, diese Technologie eingesetzt, um zu verstehen, warum so viele KundInnen, die sich mittels Online-Konfiguratoren ihr eigenes Wunschprodukt entwerfen, den Designprozess bereits nach 5 Minuten abbrechen. Die Ergebnisse sind erstaunlich.

Glanz und Elend der Produkt-Konfiguratoren

Internet und flexible Produktionstechnologien machen es möglich: In zahlreichen Produktkategorien kann man das eigene Wunschdesign individuell gestalten. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass dies für KundInnen einen enormen subjektiven Wert schafft. Die Zahlungsbereitschaft für das „eigene“ Produkt liegt bis zu 100% höher als für Standardprodukte von objektiv gleichem Wert. Online finden sich zahllose Konfiguratoren zu so unterschiedlichen Produkten wie Uhren, Müslis, T-Shirts, Küchen, Autos und Sofas (https://www.configurator-database.com/). ExpertInnen sehen im „Mass Customization“ die Zukunft des Marketings. Trotzdem tritt das Konzept auf der Stelle. Nur ein Bruchteil der KundInnen schließt den Designprozess ab. Warum? Diese Frage war der Ausgangspunkt für ein Forschungsprojekt, das ich gemeinsam mit Franziska Metz (European Business School, Deutschland) und Page Moreau (Wisconsin, USA) durchgeführt habe.

Eine Frau shoppt online
Eine bis zu 100% höhere Zahlungsbereitschaft - aber warum schließt nur ein Bruchteil der KundInnen den Designprozess ab? Foto © CC0 Licence

Wie untersucht man, was im Kopf der KundInnen vorgeht?

Was Menschen denken und empfinden, ist schwer zu erforschen. Natürlich kann man sie fragen. Es ist auch möglich, dass sie ehrlich antworten – obwohl man da nie ganz sicher sein kann. Was aber kaum geht: Sie immer wieder zu befragen, so dass man die Entwicklung von Gefühlen im Zeitablauf versteht. Denn natürlich lenken wiederholte Fragen ab. Wir haben daher nach einer Methode gesucht, mit der wir die Emotion von KundInnen messen können, ohne dass die Messung selbst die Gefühle beeinflusst. Nach eingehender Prüfung unterschiedlicher Möglichkeiten haben wir uns für die innovative Technologie des FaceReaders entschieden. Dieser scannt das Gesicht der ProbandInnen und misst über die Position und Veränderung von 500 Punkten die Muskelbewegungen im Gesicht, ohne dass dies für die Person spürbar ist. Die somit protokollierte Mimik erlaubt über empirisch validierte Algorithmen eine Analyse der momentanen Gefühle, auf Basis der sogenannten kulturübergreifenden „Basisemotionen“ nach Ekman (Wut, Trauer, Ekel, Angst, Verachtung, Überraschung und Freude).

Die Untersuchung

Insgesamt haben wir 508 Personen eingeladen, mit einem Online-Konfigurator einen Schuh zu designen. Um die Untersuchung realistisch zu gestalten, bestand für sie am Ende die Möglichkeit, den „eigenen“ Schuh zu erwerben. Mit Hilfe eines speziellen Auktionsverfahrens haben wir dabei ihre Zahlungsbereitschaft ermittelt. Während des Designprozesses haben wir sie gefilmt und mit Hilfe der Gesichtserkennungs-Software ihre Gefühle und deren Veränderung während jeder einzelnen Sekunde des jeweiligen Prozesses gemessen. Zusätzlich haben wir weitere Daten erhoben, die mit den FaceReader-Protokollen personenindividuell verknüpft werden konnten. Am Ende lagen uns viele Millionen Messwerte vor. Sie erlauben eine Analyse der Gefühle beim Designen eines eigenen Produkts.

Ein Mann lacht bei der Benutzung eines Tablets
Mithilfe einer Gesichtserkennungs-Software werden anhand der Mimik die Gefühle gemessen. Foto © CC0 Licence

Die Gefühle fahren Achterbahn

Das Ergebnis zeigt, dass KundInnen den Designprozess mit einer positiven Erwartungshaltung beginnen. Menschen sind gerne schöpferisch tätig, das zeigt sich auch online. Die Ernüchterung beginnt, wenn sie sich mit dem Konfigurator vertraut machen. „Was? Wie geht das? Eigentlich wollte ich doch … Oha, also nochmal von vorn …“ steht in ihren Gesichtern geschrieben.

  • In der ersten Phase sind die KundInnen stark mit dem Designtool selbst beschäftigt – und ihre Hochstimmung geht stark zurück. Erst nach etwa 200 Sekunden verstehen sie Möglichkeiten und Funktionsweise der Software. Doch schon stellt sich ein neues Problem: „Was will ich denn eigentlich?“ Tatsächlich hat die Wissenschaft schon seit einiger Zeit ermittelt, dass KundInnen ihre Wünsche und Vorstellung in Bezug auf die Produktgestaltung keineswegs genau kennen – ihr so genannter „Preference Insight“ ist gering.

  • Die frustrierende Erkenntnis, dass man nicht weiß, was man will, prägt die zweite Phase des Gestaltungsprozesses. Nach 300 Sekunden sind die Gefühle der KundInnen am Tiefpunkt angelangt. Zu diesem Zeitpunkt besteht das größte Risiko, dass sie den Designprozess abbrechen. Allmählich jedoch formt sich bei den KundInnen eine Idee – die Designaktivitäten werden zielgerichteter, sie haben erste Erfolgserlebnisse.

  • Man kann jetzt klar beobachten, dass ihre Stimmung steigt. Diese dritte Phase dauert durchschnittlich ebenfalls 200 Sekunden. In ihr geraten die KundInnen in ein Flow-Gefühl. Der Konfigurator wird beherrscht, man weiß, was man will, die eigene Lösung wird immer besser. Am Ende ist ihre Gefühlslage noch deutlich positiver als zu Beginn. Die Zahlungsbereitschaften, die wir gemessen haben, bestätigen erneut, dass es sich für sie gelohnt hat „durchzuhalten“.

     

Was die Ergebnisse für die Gestaltung von Konfiguratoren bedeuten

Der U-förmige Verlauf der Gefühlskurve erklärt die hohen Abbruchraten bei Online-Konfiguratoren. Viele KundInnen schaffen es offenbar nicht, den Tiefpunkt nach 300 Sekunden zu überwinden. Für sie ist eben nicht klar, dass sie im weiteren Verlauf für sich Wert schaffen und dabei auch immer positivere Gefühle entwickeln würden. Stattdessen geben sie frustriert auf. Diese Erkenntnisse erlauben wichtige Rückschlüsse für die Gestaltung von Online-Konfiguratoren. Mit verschiedenen Maßnahmen kann man die Talfahrt gezielt abschwächen und damit die Chancen erhöhen, dass jemand, der ein individuelles Produkt möchte, den Weg dorthin nicht vorschnell abbricht.

Ein Mann sitzt frustriert vor einem Laptop
Bei der Gestaltung eines Online-Konfigurators ist es wichtig, die Frustration nach 5 Minuten im Designprozess zu überwinden und den BenutzerInnen zum Erfolgserlebnis zu verhelfen. Foto © CC0 Licence

Dank neuer Technologie die KundInnen besser verstehen

Unser Forschungsprojekt hat gezeigt, dass die softwaregestützte Analyse von Gesichtsausdrücken eine wirksame Methode ist, um die Gefühle von KundInnen besser zu verstehen. Auf diese Weise werden die typischen Nachteile von Befragungen – Überforderung, soziale Erwünschtheit, strategisches Antwortverhalten – vermieden. Fast noch wichtiger: durch den Prozesscharakter der Messung kann man die Entwicklung von Gefühlen wirksam im Längsschnitt abbilden. Zahlreiche weitere Analysemöglichkeiten drängen sich auf, beispielsweise die Akzeptanz von neuen Software-Versionen, von Websites, Produktinnovationen oder Online-Werbung. Häufig sind die Gefühle von KundInnen wichtige Prädikatoren von Verhaltensweisen, die für Unternehmen von entscheidender Bedeutung sind, wie etwa Klickverhalten oder Kaufentscheidungen.

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