Mit dem Growth-Mindset auf geheimer Bildungsmission

11. Dezember 2017

Ein Interview mit Astrid Kleinhanns-Rollé und Walter Emberger

Astrid Kleinhanns-Rollé, Managing Director der WU Executive Academy und Walter Emberger, Gründer von Teach for Austria, arbeiten auf verschiedenen Ebenen an derselben Mission: Menschen gemäß ihrer Potenziale zu entwickeln. Im Doppelinterview diskutierten sie über neues Leadership, breites Lernen und die moderne Leistungsgesellschaft.

Astrid Kleinhanns-Rollé und Walter Emberger im Interview
Ein Interview mit Astrid Kleinhanns-Rollé und Walter Emberger

Kindern mit schwierigen Startbedingungen erfolgreiche Bildungswege zu ermöglichen -  das ist die Mission von Walter Emberger. Der ehemalige Berater hat 2011 das Social Business „Teach for Austria“ gegründet. Junge, motivierte HochschulabsolventInnen sind nach einem Leadership-Training zwei Jahre an Schulen als vollwertige LehrerInnen - sogenannte Fellows - im Einsatz, um Kindern die Freude am Lernen zu vermitteln und sie zu inspirieren. In diesem Jahr hat der WU Executive Club Teach for Austria, das Teil der globalen Initiative „Teach for All“ ist, als soziales Projekt ausgewählt, für das im Rahmen der alljährlichen Alumni Christmas Charity Party Geld gesammelt wird. Studierende, Alumni und Partnerunternehmen der WU Executive Academy beteiligten sich mit (Sach-)Spenden an dem Projekt; 2.930 Euro konnten diesmal gesammelt werden.

Aus diesem Anlass baten wir Astrid Kleinhanns-Rollé, Managing Director der WU Executive Academy, und Teach for Austria Gründer Walter Emberger zum Doppelinterview, um über Bildung, Potenziale und Leadership im 21. Jahrhundert zu diskutieren.

Frau Kleinhanns-Rollé, warum wurde Teach for Austria als Christmas Charity-Projekt ausgewählt?

Astrid Kleinhanns-Rollé: Für unsere Charity unterstützen wir jährlich ein internationales oder nationales Bildungsprojekt. Teach for Austria hatten wir schon länger am Radar, ich bin ein Riesenfan der Initiative, weil sie schon beim Schulsystem ansetzt. Die Initiative zeigt innovative Herangehensweisen vor, die im Bildungssystem so noch nicht vorhanden sind. Es gibt Support für die LehrerInnen, Co-Teaching, Coaching, starken Austausch mit Eltern und SchülerInnen auch außerhalb des Klassenraums. Solche Best Practices braucht es in unserem Schulsystem.

Walter Emberger: Die Charity ist ein tolles Weihnachtsgeschenk für uns.

Herr Emberger, Sie haben Teach for Austria seit 2011 gegründet. Was hat Sie konkret dazu bewogen?

Emberger: Das hatte mehrere Gründe. Ich konnte die damalige Bildungsdiskussion nicht mehr hören. Ich hatte den Eindruck, es wird nicht über die richtigen Dinge geredet. In Unternehmen machen Menschen den Unterschied, so ist es auch in der Schule. Jeder weiß, was eine Lehrperson ausmacht.

Bei Teach for Austria werden engagierte junge HochschulabsolventInnen zu innovativen PädagogInnen mit Führungskompetenz ausgebildet.

Emberger: Wir haben eine Marke aufgebaut, um die richtigen Leute anzusprechen. Das sind besondere Menschen, die es oft selbst auf ihrem Bildungsweg nicht leicht hatten und daher wissen, wie es anderen geht. Wir haben ein ‚Growth Mindset‘: wir glauben, dass jedes Kind Potenziale hat. Es müssen nur Leute her, die dem Kind helfen, seine Potenziale zu erkennen und auszuschöpfen. Jemand, der an die Kinder glaubt, der aber auch Leistung von ihnen verlangt. Man sollte die Kinder schon auf die Leistungsgesellschaft vorbereiten, damit sie sich später in den Unternehmen behaupten können.

Kleinhanns-Rollé: Solche Role Models wie die Fellows sind für Kinder sehr wichtig. Studien zeigen, dass Vorbilder Bildungskarrieren zum Positiven verändern können. Ich glaube, darum sind wir ja beide in der Bildung: weil wir Freude daran haben, Menschen zu entwickeln.

Was ist der Mehrwert für die Fellows?

Emberger: Als Fellow lernt man sehr viel. Das häufigste Feedback ist: Das waren die härtesten zwei Jahre ihres Lebens, aber auch die schönsten. Die Fellows lernen, eine unmotivierte Gruppe zu motivieren, sich zu behaupten und durchzusetzen. Sie erwerben interkulturelle Kompetenzen und Leadership-Qualitäten, die auch in ihrer späteren Karriere sehr gefragt sind.

Kleinhanns-Rollé: Das sind Menschen, die studiert haben, fachlich sehr gut sind und ein hartes Auswahlverfahren hinter sich haben. Sie sammeln Führungserfahrung, engagieren sich gesellschaftlich, erwerben Diversity-Erfahrung. Einige von ihnen sagen auch, sie wollen LehrerInnen bleiben. Sie vermitteln den Kindern Freude am Lernen und eine positive Konnotation von Schule - das ist die Grundlage, wo wir später als Weiterbildungsanbieter überhaupt erst ins Spiel kommen können.  In einer ungewissen und komplexen Zukunft ist es gut, sich auf Neues einzustellen – und das ist nur mit Lernen möglich. Diese Lernagilität benötigt jede Führungskraft. Wir geben den Leuten notwendiges Rüstzeug mit, um mit den sich verändernden Arbeitsanforderungen umzugehen.


Emberger: Die Levels mögen unterschiedlich sein, – Kinder und Erwachsene – aber wir beide wollen die Lust am Lernen wecken. Auch nach der Pflichtschule muss die Offenheit da sein, weiterzulernen.


Kleinhanns-Rollé: Ich denke, in der Schule wie auch in der Weiterbildung sollte es stärker um das Lernen fürs Leben gehen. Wir sehen, dass in Führungspositionen nicht nur das funktionelle Know-how wichtig ist, sondern dass Führungskräfte sich selbst weiterentwickeln müssen. Dafür muss Raum für Selbstreflexion, Diskussion und Kommunikation eingeräumt werden. Da muss man von den bisherigen Bahnen abweichen und die Persönlichkeit der TeilnehmerInnen mit reinnehmen. Das erfordert einen neuen Lernbegriff, der auch mehr Freude am Lernen mitbringt.

Emberger: Unser Programm für die Fellows ist als Leadership-Programm dreigeteilt: Leading systems, leading classrooms, leading yourself.

Kleinhanns-Rollé: Das ist bei unseren MBA-Programmen sehr ähnlich. Leading organisations, leading teams, leading oneself. Was ich toll an Teach for Austria finde, dass ihr den Lernbegriff breit fasst und die SchülerInnen ganzheitlich seht. Das ist viel breiter als der Unterrichtsstoff.


Emberger: Ja zum Beispiel geht es um Ernährung. Ein Drittel der Kinder sind nicht nur übergewichtig, sondern fettleibig, mit Risiko zur Zuckerkrankheit. Das Thema ist den Fellows ein großes Anliegen. Etwa Zucker: das kann man in jedem Fach unterrichten – in Mathematik Kalorien oder Zuckergehalt berechnen, in Geografie den Zuckerexport besprechen. Man kann Unterricht so spannend machen. Österreich ist gottseidank flexibel. Man kann interdisziplinäre Projektwochen machen. Wir schreiben auch keine langen Papers, wir gehen in die Schulen rein und machen einfach – mit Leuten, die begeistern. Das Schulsystem zu öffnen, war mir wichtig.

Kleinhanns-Rollé: Spannend ist auch, wie stark der Netzwerkgedanke der Initiative ist. In den USA hat Teach for America ein wichtiges Netzwerk, viele der „Who is Who“ in der Wirtschaft waren früher einmal Fellows. Sie bringen sich gemeinsam weiter. An der WU Executive Academy verfolgen wir denselben Gedanken mit unserem WU Executive Club und der vor kurzem lancierten Online-Karriere-Plattform WU EA Connect. Dort kann man gezielt Gleichgesinnte Leute und anbieten, anderen als Mentor oder Mentorin weiterzuhelfen.

Emberger: Die Peer Group ist über zwei Jahre mit einem starken Erlebnis und großen Herausforderungen verbunden. Das schweißt zusammen. Die Gruppe bleibt meist verbunden und aus den Leuten wird später etwas. Im zweiten Jahr bieten wir unseren Fellows auch MentorInnen aus der Wirtschaft an. Hier am Tisch sitzt übrigens eine.

Kleinhanns-Rollé: Mentor-Mentee-Beziehungen sind für beide Seiten sehr gewinnbringend. Ich fand es wahnsinnig bereichernd. Man kommt auch als MentorIn Impulse, die man im eigenen Umfeld kaum noch hat. Diese Menschen wollen etwas bewegen und haben unglaublich viel Energie: Mein Mentee von Teach for Austria hat nach seiner Fellowship Refugees Code mitgegründet (Anm.: die NGO bietet IT-Skills für Flüchtling an).

Herr Emberger, Sie haben einmal gesagt: Bildung ist nicht nur da, den Einzelnen weiterzuentwickeln, sondern auch die Gesellschaft. Das haben Sie beide wohl gemeinsam.

Emberger: Ja, das stimmt.

Kleinhanns-Rollé: Wenn ich mir denke, wie viele Menschen in ihren Arbeitssituationen leiden oder sich nicht wohlfühlen … Wie glücklich die Menschen im Job sind, beeinflusst natürlich die Gesellschaft. Wenn ich lediglich versuche, vorgegebene Inhalte fokussiert in 30 Leute reinzupressen, dann ist das old school und die Leute entwickeln sich in eine Richtung, in die sie gar nicht so hinpassen. Uns geht es darum, dass die Menschen ihre Potenziale erkennen, diese stärken und im Job umsetzen. Daher ist uns der Diskurs mit anderen und Feedback so wichtig. Daher ist es auch ein großer Appell an Unternehmen, hier Weiterbildungsmöglichkeiten zu schaffen. Wir entwickeln das Angebot auch gemeinsam mit den Unternehmen.

Herr Emberger, was sind die nächsten Ziele bei Teach for Austria?

Emberger: Wir starten eine regionale Expansion in Oberösterreich und später in der Steiermark. Wir sehen uns künftig auch in Kindergärten, wie es in England oder in den USA schon seit zehn Jahren üblich ist. Und wir haben den nächsten Recruitingprozess für den Jahrgang 2018 bereits gestartet: Wir wollen 60 Fellows aufnehmen, die nächste Zwischendeadline ist Ende Jänner. Wir haben sehr gute Erfahrungen an der WU und mit Wirtschaftern, da sie sehr gesamtheitlich denken. Wir haben die Altersgrenze aufgehoben und sind nun auch gespannt auf Career Changer – beruflich erfahrene Menschen, die sich bei uns engagieren wollen.

Was erwartet die Career Changer?

Emberger: Man muss Kinder lieben, dann tun sich neue Herausforderungen auf. Weg vom Bildschirm in die Klasse mit 19 verschiedenen Nationalitäten und auch weniger motivierten SchülerInnen: das ist eine ganz andere Herausforderung als etwa ein schwieriges Spreadsheet. Papier ist geduldig, wenn du drei Minuten keinen Plan hast. Wenn du in der Klasse drei Minuten keinen Plan hast, bist und hast du verloren.

Die Logos der Sponsoren 2017

Vielen Dank an die zahlreichen Spenden von unseren Alumni und Partnerunternehmen! Mehr über Teach for Austria erfahren Sie hier: www.teachforaustria.at

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