Neue Afrika Residency: Silicon Savannah

07. März 2022

Global Executive MBA: Lernreise zur Wiege der sozialen Innovation

Afrika hat viele Gesichter – und mit dem, was wir in Europa an Bildern in Kopf haben, wohl nur wenig gemeinsam. Auf der Silicon Savannah Learning Journey Mitte Februar 2022 erkundeten die Studierenden des Global Executive MBA der WU Executive Academy den außergewöhnlichen Entrepreneurial Spirit in Nairobi, der Hauptstadt von Kenia. An fünf Tagen besuchten die TeilnehmerInnen lokale Startups und soziale Innovatoren, hörten Keynotes über die Besonderheiten des afrikanischen Marktes in der Sub-Sahara-Zone und erarbeiteten in Design Thinking Workshops maßgeschneiderte Lösungen für Unternehmen vor Ort.

Prof. Barbara Stöttinger spricht vor einer Gruppe von Studenten
Die 5-tägige Residency hatte viel zu bieten: Company-Visits, Vorträge und neue spannende Erkenntnisse.

„Es ist beeindruckend, wieviel Innovationsdrang und Forschergeist wir vorgefunden haben“, erzählt Barbara Stöttinger, Dekanin der WU Executive Academy, die die Learning Journey begleitet und mitorganisiert hat. Die Haltung vieler Menschen vor Ort ist bewundernswert: „Sie müssen mit sehr wenig auskommen und daraus etwas machen. Für vieles gibt es keine vorgefertigte Lösung, keine Services und auch nicht das Geld dafür. Wie es ihnen trotzdem gelingt? Sie probieren vieles aus und entwickeln oft mit überschaubaren Ressourcen unglaublich innovative Lösungen“, sagt Stöttinger.

Afrika und der Westen: voneinander lernen – auf Augenhöhe

Die ReiseteilnehmerInnen erhielten Einblicke in Pulselive Kenya, eine digitale News-Plattform für junge Menschen zwischen 18 und 35, deren Marketingagentur digitale Kampagnen für globale Konzerne wie Samsung entwirft.

Die Gruppe von Studenten besucht Pulselive Kenya vor Ort
Einer von vielen Company-Visits führte zu Pulselive Kenya, einer Marketingagentur mit Global Playern als KundInnen.

Sie lernten das Unternehmen Twiga Foods kennen, das sich zum Ziel gesetzt hat, den Lebensmittelhandel in Afrika zu revolutionieren, und von Sozialwissenschaftler Grant Brooke gegründet wurde. Co-Gründer und CEO Peter Njonjo war früher CEO des Coca-Cola East Africa Franchise. Er erzählte über den nicht ganz einfachen Beginn des Retailers. Twiga Foods beliefert zehntausende MikrohändlerInnen (micro retailer) in den informellen Siedlungen, die oft nur 50 Dollar in der Woche einnehmen. Mit einer B2B-Plattform vereinfacht das Unternehmen die Wertschöpfungskette und verbindet die MikrohändlerInnen mit den BäuerInnen. 90 Prozent des Einzelhandels in Afrika besteht laut Twiga Foods aus kleinen, informellen HändlerInnen, die oft mit ineffizienter Logistik und leicht verderblicher Ware zu kämpfen haben. Für Twiga Foods arbeiteten die Studierenden in einem Design Thinking Workshop an unternehmerischen Lösungen, die sie am Ende dem CEO, Peter Njonjo, präsentierten.

Die Gruppe von Studenten besucht Twiga Foods
Bei Twiga Foods tauchten die Studierenden in die Welt der Micro Retailer ein.

Innovative Lösungen und Bildung als oberste Maxime

Auch in der digitalen Bildung tut sich einiges: Die Schulinfrastruktur in den informellen Siedlungen ist oft herausfordernd, ein/e Lehrer/in muss oft zig SchülerInnen unterrichten. Das EdTech-Startup KuzeKuze etwa bietet hier eine Lösung mit individuellen Lernpfaden aus einer ausgeklügelten Kombination von analog und digital: Mittels Übungsblättern können die SchülerInnen so selbstorganisiert – alleine oder in Kleingruppen – und unabhängig von Computer oder Smartphone am Lernstoff arbeiten. Die Lernblätter werden anschließend eingescannt, eine KI-basierte Software analysiert den Lernfortschritt der SchülerInnen und erstellt für die darauffolgende Woche ein individuelles Übungsblatt für jede/n SchülerIn.

Ein Mann zeigt einen Bogen Papier mit Daten darauf
Das Unternehmen KuzeKuze bietet innovative Lösungen in Kombination von analog und digital an – und passt sich so der herausfordernden Infrastruktur an.

Für Learning-Journey-Teilnehmer David Klement, CIO bei CONFDNT, war der Besuch bei KuzeKuze das Highlight im Rahmen der Unternehmensbesuche: „Eine gute Bildung ist der beste Nährboden für den Wohlstand und die Weiterentwicklung einer Gesellschaft. Und genau das ermöglicht KuzeKuze, indem es Papier, Technologie und Wissen bestmöglich vereint.”

Prof. Barbara Stöttinger Portrait

Prof. Barbara Stöttinger

  • Dekanin der WU Executive Academy

In keinem anderen Land hat Bildung einen so unglaublich hohen Stellenwert über alle Bevölkerungsgruppen hinweg wie hier in Nairobi. Die Menschen sind sich darüber einig, dass eine bessere Zukunft für alle nur über eine Investition funktionieren kann, die mit Abstand die höchsten Dividenden abwirft: jene in die eigene Bildung und die der Kinder.

Keine Luxusprobleme, dafür viele clevere Lösungen für das tägliche Leben

Das Trainingszentrum TunaPanda etwa bietet ebenfalls in den informellen Siedlungen niederschwellige IT-Trainings für alle an. Das Öko-Startup Mr. Green Africa wiederum produziert aus recycletem Müll hochwertige Materialien für die globale Industrie und integriert bereits 2500 MüllsammlerInnen als MitarbeiterInnen in den Recyclingprozess.

Die TeilnehmerInnen sprachen auch mit dem Österreicher Tobias Reiter, Gründer des Health-Tech-Unternehmens Viebeg, der sich für einen besseren Zugang zum Gesundheitssystem einsetzt: Viebeg bringt medizinische Lösungen wie etwa mobile Röntgengeräte in entlegenere Gebiete in Zentral- und Ostafrika.

Tobias Reiter spricht vor einer Gruppe von Studenten
Das von einem Österreicher gegründete Unternehmen Viebeg nimmt sich der Verteilung medizinischer Lösungen in der Region an.

Und sie trafen Bitange Ndemo, der einst in den Nullerjahren das High-Speed-Internet nach Afrika brachte, oder die Firma Neulandt: Das Venture der Umdasch Group baut leistbare Fertigteilhäuser aus Beton.  

Die 5 wichtigsten Learnings über Afrika

Barbara Stöttinger und die beiden Global Executive MBA-Studierenden David Klement und Roland Radlherr, Group Finance Director, COO & CIO bei Constantia AG & US based PE Fund, identifizierten ihre 5 wichtigsten Erkenntnisse über die Besonderheiten des Ecosystems in Ostafrika:

1. Unbedingte Innovationskraft

Innovation ist in Kenia über alle Branchen hinweg zu spüren: „Eine große Überraschung waren die vielen erfolgreichen Startup-Unternehmen in Kenia, die in den unterschiedlichsten Bereichen, von Gesundheit, FMCG/Nahrung über digitales Marketing bis hin zu (erneuerbare) Energie, tätig sind”, sagt Roland Radlherr.

David Klement Portrait

David Klement

  • CIO CONFIDNT GmbH

Afrikanische Startups beschäftigen sich vorrangig mit Themen, die zu einer Verbesserung und Veränderung des Lebens von Millionen von Menschen beitragen. Sie entwickeln dafür einfache Lösungen für Alltagsprobleme. Es muss nicht immer alles high-tech sein, solange es seinen Zweck erfüllt.

„Viele Unternehmen, die wir besucht haben, zeichnen sich vor allem durch die enorme Geschwindigkeit ihres Rapid Prototyping aus: Sie probieren Neues aus, testen und adaptieren es so lange, bis es funktioniert. So sind sie nah am Markt dran und entwickeln Innovationen, die ihren KundInnen immer einen Added Value bieten“, sagt auch Barbara Stöttinger. Als Beispiel nennt sie Pulselive Kenya, das als digitale News-Plattform mit vielen Formaten wie Podcasts und Videos experimentiert.

2. Digital First

Sehr viele Menschen in Ostafrika sind bereits mit Mobiltelefonen ausgestattet. „Ein großer Irrtum war es zu glauben, dass der afrikanische Kontinent in punkto Technologie nicht mit anderen Teilen der Welt mithalten kann. Ich habe festgestellt, dass das Gegenteil der Fall ist,” sagt Roland Radlherr. „Ein großer Teil der Bevölkerung besitzt Handys, sehr oft sogar Smartphones. Über diese Geräte greifen in Afrika die meisten Menschen auf das Internet zu.” Digital First sei für viele innovative Unternehmen selbstverständlich, „um Services für die breite Bevölkerung anzubieten, die es bisher nicht gegeben hat“, ergänzt Stöttinger. Ein Beispiel dafür sei das Mobile Bezahlsystem M-PESA des kenianischen Mobilfunkunternehmens Safaricom, das Finanztransaktionen mit einfachen Mobiltelefonen ermöglicht und so Millionen Menschen Zugang zu Geld verschafft. Auch David Klement zeigte sich von dem Digitalisierungsniveau überrascht: „Kenia zeichnet sich durch viele intelligente Lösungen für Alltagsprobleme aus. So bezahlt man dort beispielsweise mit dem Smartphone, und so gut wie alle verwenden dieses System. Um auf bestimmte Online-Dienstleistungen zugreifen zu können, muss ein Account angelegt werden: Dies passiert in Chats und nicht durch das Ausfüllen von Formularen. Das ist eine wirklich smarte Zugangsweise zu Kundenregistrierungen.”

3. Kreativität ist ein Muss

„‘Creativity is not a luxury, it is a necessity'“, wurde uns oft gesagt. Die Menschen sind durch ihre Lebensumstände de facto gezwungen, kreativ zu werden und neue Lösungen für die vielen Herausforderungen in der Bildung, im Alltag, im Handel oder in der Gesundheit zu finden. Und sie müssen überlegen, wie sie Geld verdienen. Es kommt nämlich in der Regel niemand mit einem Jobangebot, da es kaum white-collar jobs gibt“, sagt Barbara Stöttinger.

4. Kundenzentrierung mit LowTech und HighTech

Die KundInnen im Fokus zu haben, ist natürlich in der Wirtschaft immer wichtig. „Auffällig war allerdings die außergewöhnliche Kombination von LowTech und HighTech in diesem Zusammenhang: Vielen Menschen gerade in den informellen Siedlungen hatten keinen Zugang zum Internet. Wir haben einen beeindruckenden Direktor der Olympic Primary School in Kibera getroffen, 70 LehrerInnen sind dort für 5000 SchülerInnen zuständig“, erzählt Stöttinger.

Ein Blick von oben auf den Hof einer afrikanischen Schule
In vielen Bereichen gibt es keinen Internetzugang, z.B. in vielen Schulen. Hier bedarf es innovativer Lösungen zur Kombination von Low- und High-Tech.

Das Curriculum hat man in Zusammenarbeit mit dem EdTech-Unternehmen KuzeKuze für die Lehrer digitalisiert, aber: „Die Kinder haben keinen Zugang zum Internet. Hier bestand die Lösung darin, die Lernübungen für die SchülerInnen nicht digital zur Verfügung zu stellen, sondern auf Übungsblätter auszudrucken“, so die Dekanin. Auch Roland Radlherr ist dieser Moment besonders in Erinnerung geblieben: „Der Besuch dieser Schule war mein persönliches Highlight. Die durchschnittliche Klassengröße ist dort etwa 100 SchülerInnen. Und trotz dieser Gruppengrößen bemühen sich die LehrerInnen dieser Schule, die Kinder individuell zu unterstützen und ihnen besonders in ihren schwächeren Fächern zu helfen.”

5. Weltoffenheit auf Augenhöhe

„Die Menschen sind informiert, viele sprechen Englisch und wissen dank Internet und YouTube über vieles Bescheid, was im Westen oder global geschieht“, sagt Barbara Stöttinger. Die Frage sei nicht, wie man ihnen „von oben herab“ helfen könne, sondern: „Wir können uns mit unseren wirtschaftlichen und unternehmerischen Erfahrungen einbringen und helfen. Aber wir können auch vieles von ihnen lernen: Mich haben diese unglaubliche Kreativität, der Optimismus und die Innovationskraft sehr beeindruckt. Die Menschen lachen viel und wirken trotz ihrer schwierigen Lebenssituation positiv“, sagt sie.

Roland Radlherr Portrait

Roland Radlherr

  • Group Finance Director
  • COO & CIO bei Constantia AG & US based PE Fund

Die Chancen für europäische Unternehmen in Afrika sind beachtlich – noch werden sie aber unterschätzt.

„Europäische Unternehmen erkennen erst seit Kurzem das Potenzial von Afrika. Sie müssen daher Strategien für den Kontinent entwickeln oder diese neu ausrichten. Derzeit investieren hauptsächlich chinesische Staatsbetriebe auf dem Kontinent. Diese Unternehmen haben kaum MitbewerberInnen. Sie errichten in Ruhe eine neue Seidenstraße und bleiben mühelos die Platzhirschen auf diesen neuen Märkten,“ sagt Radlherr.

Für David Klement war es nicht der erste Aufenthalt in Sub-Sahara-Afrika: „Ich war schon einmal dort, aber die Learning Journey war meine erste Reise nach Afrika, auf der ich auch Unternehmer und visionäre Geschäftsleute treffen konnte, die ihre Leidenschaft leben und eine Mission verfolgen. Afrika hat eine sehr lebendige Startup-Szene, die bereits heute das Leben von Millionen von Menschen auf dem Kontinent verbessert. Es ist wirklich nur noch eine Frage der Zeit, bis wir das erste afrikanische Einhorn sehen werden.”

Seite teilen