Post-Corona-Leadership: Wie die Krise das Führen von morgen verändert

23. April 2020

Welche positiven Effekte für Führungskräfte und Unternehmen entstehen

Im Auge des VUCADD-Orkans: Die derzeitige Covid-19-Krise beschleunigt den Wandel in der Arbeits- und Wirtschaftswelt mit Lichtgeschwindigkeit und bietet dabei ein spannendes Testfeld für mutige Führungskräfte. Welche Chancen die Krise für das Leadership von morgen bietet und welche positiven Effekte dabei für Führungskräfte und Unternehmen gleichermaßen entstehen, haben die Transformations-Expertinnen Prof. Kathrin Köster, Faculty Member der WU Executive Academy, und Christof Stögerer, Head of Executive Education, analysiert.

Bild einer Leadership Internetkonferenz
Welche Chancen bietet die Krise für das Leadership von morgen?

Die VUCADD*-Welt: Sie wurde in Wirtschafts- und Wissenschaftskreisen immer wieder thematisiert. Wir würden zunehmend in einer volatilen, unsicheren, komplexen, ambiguen, dynamischen und diversen Welt leben, hieß es. Inzwischen ist das fast eine Untertreibung. Die Corona-Krise hat uns von einem Tag auf den anderen in das Auge des VUCADD-Orkans katapultiert: „Plötzlich geht es um ,Expect the unexpected‘ – und zwar als Default-Einstellung für unser Leben ganz generell. Es ist nicht mehr nötig, darüber zu theoretisieren, die Praxis hat uns längst eingeholt“, so Prof. Kathrin Köster und Christof Stögerer.

Pantha rei und die Transformation in Lichtgeschwindigkeit

Das Covid-19-Virus hat drastische Maßnahmen nach sich gezogen: Die Menschen bleiben soweit möglich zuhause und arbeiten im Home Office, die Wirtschaft ist heruntergefahren. Niemand weiß, wie lange der Zustand noch andauern wird. „Die Frage ist: Wie kommen wir aus dieser Schockstarre?“, bringt es Köster auf den Punkt. „Wir alle können die Krise jetzt – gemeinsam und jeder für sich – nutzen, um eine neue, bessere Normalität für uns alle zu gestalten“, sagt Stögerer. Beide erwartet einen „kollektiven Bewusstseinssprung“. Heraklit habe zwar Recht gehabt, Wandel habe es im Sinne des „Pantha rei“ immer schon gegeben: „Aber das, was wir gerade erleben, ist eine enorme Beschleunigung: Transformation in Lichtgeschwindigkeit.“ Einmalig sei vor allem, dass der Wandel in dieser Wucht die ganze Welt gleichermaßen betreffe: „Wir alle erleben gleichzeitig dasselbe in Bereichen, in denen wir früher völlig unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben““, so Christof Stögerer.

*VUCADD: volatile, uncertain, complex, ambiguous, diverse, dynamic

Bild von Leadership Personen mit Coronabild auf dem Boden
Covid-19 betrifft die ganze Welt und dadurch erleben alle den gleichen Wandel. Foto © CC0 Licence

Post-Corona: 7 positive Leadership Effekte für die Zukunft

Laut den beiden Transformations-Expertinnen verleiht die Corona-Krise den Megatrends der neuen Arbeitswelt einen starken, noch nie dagewesenen Schub – und zwar mit enormem Chancenpotential für Unternehmen und Führungskräfte gleichermaßen. Das zeigen die folgenden 7 positiven Leadership-Effekte durch die Corona-Krise, die Köster und Stögerer in ihrer Analyse zusammengefasst haben:

1. Die Mutigen gehen sichtbar voran

Die Krise selbst sei wie eine Riesenlupe, sagt Köster. Bisher als normal geltende Verhaltensweisen werden jetzt genau beleuchtet. Mutige Leader hinterfragen daher, ob Stärke das Fällen von Entscheidungen im Alleingang bedeutet und ob das überhaupt von den anderen erwartet wird, oder ob es nicht zielführender ist, mehrere Perspektiven von anderen einzuholen. Viele neue Leadership-Ansätze machen jetzt Schule, so Köster: „‚New Pay’ etwa fokussiert stärker auf die gerade entdeckten emotionalen Bedürfnisse von Mitarbeitenden nach dem Motto ‚Hilfe zum persönlichen Resilienz-Aufbau statt Geld’. Oder auch die 80-20 Regel: die eigenverantwortliche Einteilung der Arbeitszeit auf ‚Herzens’-Projekte (20%) versus ‚Pflicht-Projekte’ (80%).“

2. Unsicherheit bedeutet neuer Freiraum

Niemand weiß derzeit, was morgen sein wird. Innerhalb kürzester Zeit mussten ganze Unternehmen ihre Arbeitsweise auf remote Work und digitale und virtuelle Kommunikation umstellen. Die Umstellung auf Neues sorgt stets für Unsicherheit. Die Erkenntnis muss aber lauten: es gibt eine positive Kehrseite der Medaille. „Unsicherheit bedeutet gleichzeitig aber immer auch neuen Freiraum – Freiraum für Kreativität, neue Ideen und neue Formen der Zusammenarbeit“, sagt Christof Stögerer.

Bild einer Leadership Person im Home Office
Der Unsicherheit der Umstellung der Arbeitsbedingungen, steht neuer Freiraum für Kreativität und Ideen gegenüber. Foto © CC0 Licence

3. Vertrauen statt Kontrolle

Laut einer Deloitte-Studie von 2019 hatten 97 Prozent der Unternehmen ihren MitarbeiterInnen bereits Home Office angeboten. Was viel klingt, war allerdings bei genauerer Betrachtung bei fast 40 Prozent nur einzelnen Personen vorbehalten. Bei 85 Prozent der Unternehmen hatte die physische Anwesenheit im Büro einen dominanten Stellenwert. Das dürfte sich nach der Corona-Krise ändern. Jahrelang habe es mit ManagerInnen in Unternehmen immer wieder Diskussion über die Frage Kontrolle versus Vertrauen gegeben, sagt Köster: „Jetzt haben wir alle einen verordneten Vertrauensvorschuss im großen Stil erhalten – und es funktioniert.“ Die Kontrolle, „die wir früher im Wirtschaftssystem der industriellen Gesellschaft benötigt haben, ist nicht mehr notwendig“, sagt Christof Stögerer. Wichtig sei, nach der Corona-Krise nicht mehr in alte Kontrollmuster zurückzufallen. „Jetzt brauchen wir reflektierte Praxis, die aufzeigt, welche Vorteile die neue Arbeitsweise für alle bringt, keine Theorien mehr“, so Köster.

4. Achtsamer Umgang miteinander

Auch der soziale Umgang miteinander würde sich verändern: In einem Video-Call neigen die Menschen dazu, einander nicht zu unterbrechen, um sich konzentrieren zu können. Sie gehen mehr aufeinander zu, hören besser zu als in einem physischen Meeting.

Portrait Kathrin Köster

Kathrin Köster

  • Transformations-Expertin

Der erzwungene Verzicht und die soziale Isolierung lässt die Menschen ein stärkeres Bewusstsein füreinander entwickeln. Auch der Wert der Wertschätzung ist wieder verstärkt sichtbar – etwa im Anerkennen der Leistung von Menschen in sogenannten „systemrelevanten“ Jobs.

5. Immaterielle Werte zählen

Das Konsum- und Shoppingverhalten der Menschen hat sich durch die Krise grundlegend verändert. „Das eigene Haus und der Garten sind eher ein Luxusthema. Es zählt auch plötzlich viel, dass KollegInnen fragen, wie es einem geht. Die wirklich wichtigen Dinge werden sichtbar – eine erfahrbare Werteverschiebung“, so Kathrin Köster. Und Christof Stögerer ergänzt: „Die Krise bietet die Chance, neue Werte an die Oberfläche zur bringen, man kann Dinge, die bisher toleriert wurden, stärker hinterfragen: Dividenden an die AktionärInnen ausgeschüttet trotz Kurzarbeit? Diskutieren wir proaktiv über die Dinge. Früher haben wir weniger vertraut, und brauchten dafür viel Kontrolle. Klingt nach Zeit für Veränderung, oder?

6. Neuer Umgang mit dem Scheitern

So gut wie jedes Unternehmen wird durch diese Krise Umsatzrückgänge zu verzeichnen haben, manche werden es nicht überleben. „Wir sollten das nicht als individuelles Scheitern betrachten, sondern solidarisch gegenüber anderen sein und es als Möglichkeit sehen, wie wir als Gesellschaft daraus lernen“, sagt Christof Stögerer. Das zeige, dass unser derzeitiges Wirtschaftssystem nicht krisenfest sei, sagt Kathrin Köster. Es sei wichtig, von der Angststarre in den Experimentiermodus zu kommen, so Köster. Zu lernen und immer wieder Neues auszuprobieren – das ermögliche wieder neue Perspektiven auf Leadership, sagt Christof Stögerer.

Bild eines Schilds in einem Schauffenster
Aus der Angststarre in den Experimentiermodus - so kann man als Gesellschaft auch Unternehmensschließungen überleben. Foto © CC0 Licence

7. Das innere Team zu führen wird essentiell

New Work beginnt bei sich selbst. „Gerade für Führungskräfte ist es wesentlich, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen: physisch, mental, emotional“, so Köster. Hier helfe die Arbeit mit dem inneren Team. In ihrem Buch „United States of YOU“ hat sie die verschiedenen Anteile personifiziert: Hier interagiert etwa Mr. Mind (Geist) mit Buddy Body (Körper) und Conscious Me (dem inneren Beobachter). „Wir haben so viel in uns. Uns nur auf den Verstand zu beschränken, wie es bisher im Business üblich war, wäre eine pure Verschwendung von Ressourcen.“ Das Erkennen der inneren Diversität mache es Führungskräften auch einfacher, die Andersartigkeit von Menschen zu akzeptieren und mehr zu schätzen, was Einzelne ins Team einbringen.

Und was nun?

Die beiden Expertinnen raten Führungskräften dazu, genau diese Punkte in eigenen „Corona-Retrospektiven mit Gefühl und Verstand“ zu reflektieren. Teams auf der ganzen Welt gehen gerade gemeinsam durch ihre Highlights und Lowlights der Wochen des Lockdowns, und zusammen lernen sie, wie sie flexibler und effektiver miteinander arbeiten können. „Was lief bisher gut, was nicht, was können wir daraus lernen und anders machen?“ seien die Fragen, die es jetzt zu stellen gilt.
 

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