Storytelling in digitalen Medien

30. November 2016

Wissenswertes über die älteste aller Kulturtechniken

Foto © Fotolia / Sergey Nivens / ein hell strahlendes Buch, das über einer offenen Hand schwebt
Foto © Fotolia / Sergey Nivens

Stellen Sie sich vor, Sie möchten einen Standmixer verkaufen, der sich durch beeindruckende technische Daten, einen überaus leistungsfähigen Antriebsmotor und so gut wie unzerstörbare Klingen auszeichnet. Sie könnten die Vorzüge Ihres Geräts in Form einer klassischen technischen Datentabelle präsentieren – oder auf Ihrem Youtube Kanal demonstrieren, wie besagtes Gerät in wenigen Sekunden ein Smartphone, eine Packung Stahlschrauben oder eine Vuvuzela zu feinem Staub vermahlt. Welche Form der Informationsaufbereitung bleibt bei den KonsumentInnen wohl eher hängen?

Digital Storytelling sucht nach emotionalen Blickwinkeln, setzt auf erzählerische Strategien, die weit älter sind als die Druckerpresse und bezieht ihre Stärke aus der Glaubwürdigkeit, die durch eine sehr persönliche Erzählweise entsteht. Zu den ältesten kulturellen Artefakten der Menschheit zählen HeldInnen und GöttInnen, die in ihrer Reduktion auf das Wesentliche den RezipientInnen die Botschaft nicht bloß verstehen, sondern miterleben lassen. Diese Form des Erzählens ist also gewiss keine Erfindung von Marketing-ExpertInnen, kann aber gerade in einer Zeit der kommunikativen Überflutung für das entscheidende Plus an Aufmerksamkeit sorgen.

Während sich die Methoden und Mittel des Erzählens dank digitaler Technologien vervielfacht haben, bleiben die grundlegenden dramaturgischen Regeln einer guten Story unabhängig vom Medium stets die gleichen. Eine hervorragende Einführung in die Regeln der erzählerischen, architektonischen und inszenierenden Dramaturgie bieten Christian Mikundas Lehrbücher. (http://www.mikunda.com/)

Der Begriff „Digital Storytelling“ geht auf das gleichnamige Center in San Francisco zurück. Der Dokumentarfilmer Ken Burns setzte 1990 für seine Doku „The Civil War“ animierte Foto-Zooms ein, die heute als Ken-Burns-Effekt bezeichnet werden. Er und die anderen Pioniere dieser Vermittlungsform hatten keineswegs Verkaufsförderung im Sinn, sondern alternative Formen der Wissensvermittlung. Deshalb beschäftigt sich der Großteil der Digital Storytelling Literatur mit dem Einsatz solcher Formate in Journalismus, Pädagogik und Bildung.

Multimedial Geschichten erzählen: Die Werkzeuge

Die technologische Entwicklung des Internet und die immer stärkere Dominanz von Video-Inhalten auch auf mobilen Geräten ermöglichten in den letzten Jahren ganz neue, crossmedial Erzählformen. Während im akademischen Bereich der Begriff „digital Storytelling“ als spezifische multimediale Form der Wissensvermittlung begriffen wird, ziehen Online Marketeers die Grenze deutlich weiter.

Gemeinsames Muster so gut aller erfolgreichen Storytelling-Beispiele: Im Zentrum der Botschaft steht nicht klassische Werbung, sondern ProtagonistInnen, mit denen sich die ZuseherInnen identifizieren können und ein Spannungsbogen, der den Fokus nicht auf Marke, sondern auf das Rundum legt. Ziel ist es, das jeweilige Produkt mit einem bestimmten Gefühl aufzuladen.

Das multimediale mobile Web bietet mittlerweile sogar reine Offline-Werkzeuge, mit denen sich in wenigen Minuten professionelle Videos aus Bild-, Ton- und Textinhalten zusammenstellen lassen. Ein besonders gelungenes Beispiel für einen solchen Dienst ist Rocketium (https://rocketium.com/).

Doch gutes Storytelling ist nicht von den verwendeten Werkzeugen abhängig: Es geht darum, die ZuseherInnen zu bewegen, starke Emotionen und letztendlich ein positives Gefühl auszulösen. Anders als klassische Werbung werden solche Botschaften nicht als lästige Unterbrechung wahrgenommen, sondern sind es im Optimalfall sogar wert, aktiv weiterverbreitet zu werden – digitales Storytelling und virales Marketing sind sozusagen eineiige Zwillinge!

Beispiele für gelungenes Storytelling

Damit zurück zum eingangs erwähnten Beispiel: Die für den professionellen Gastro-Bereich ausgelegten Standmixer der Marke BlendTec finden dank des legendären Youtube-Kanals „Will it blend?“ mittlerweile auch im privaten Segment reißenden Absatz trotz fünffach höherer Verkaufspreise im Vergleich zu Consumer-Geräten.

Ein Mann im weißen Kittel hält ein iPhone in der Hand, über einem Mixer
Das iPhone Mixer-Video wurde zeitgleich mit dem Verkaufsstart des Smartphones veröffentlicht.

Erfolgreiches digitales Geschichtenerzählen funktioniert auch ganz ohne Satire. Wie bringt man 375.000 Impf-Dosen quer über mehrere Kontinente in kürzester Zeit an ihren Bestimmungsort? UPS erzählt im Clip „Keeping Cool Through a Challenging Day“ die Geschichte einer außergewöhnlichen logistischen Leistung in einer gelungenen Kombination aus Kurzinterviews mit ProtagonistInnen, Fotos und animierten Inserts.

Passend zur Saison und ein Glanzstück des Genres ist WestJets „Real-Time Giving Christmas Miracle“. Die Fluggesellschaft überrascht ihre Passagiere mit einem ganz und gar unerwarteten Weihnachtsgeschenk und erzielte ohne jegliche Werbeschaltungen beeindruckende 45 Millionen Views.

Wie man digitale Storytelling mit interaktiven Elementen verbindet, zeigte Hyundai im Rahmen der „A message to space“ Kampagne. Stephanie, die Tochter eines ISS Astronauten, lässt ihrem Vater eine Botschaft zukommen, die mit mehreren Fahrzeugen in den ausgetrockneten Delamar Lake in Nevada „geschrieben“ wird. Die ZuseherInnen waren aufgefordert, ihre eigenen Nachrichten einzusenden und so eine personalisierte Version ihres Videos zu kreieren.

Eine Marke erfolgreich und authentisch mit positiven Emotionen aufzuladen, ist keine Frage des Budgets oder der technischen Möglichkeiten, sondern der Kreativität und des Mutes, neue Wege in der Werbung zu beschreiten. Denn nur wer die Emotionen seiner KundInnen anspricht, bleibt im Gedächtnis.

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