Corporate Digital Responsibility (CDR): Ein neuer Imperativ für die Arbeit von HR-Manager*innen?

13. Juni 2023

Gehört die HR-Zukunft der KI?

Die Aufregung ist dieser Tage groß: Wie wird KI unsere Arbeit verändern? Wer verliert seinen Job und ist die Art und Weise, wie wir die digitalen Werkzeuge einsetzen, wirklich im Sinne der Menschen, die sie nutzen? Und genau an diesem Punkt kommt ein neuer Ansatz in Spiel: die Corporate Digital Responsibility (CDR), oder auch als Digitaler Humanismus bekannt.

Digitalexperte Martin Giesswein und Barbara Stöttinger, Dekanin der WU Executive Academy, haben sich den Bereich des Human Ressource Management (HRM) genauer angesehen und konkrete Anwendungsmöglichkeiten und ethischen Überlegungen es beim Einsatz künstlicher Intelligenz im HRM zu beachten gibt.

KIs nicht nur nützen, weil es sie gibt, sondern weil sie einen unmittelbaren Nutzen für die Menschen hat – das ist Digitaler Humanismus. Bild: Martin Giesswein co-created mit KI
KIs nicht nur nützen, weil es sie gibt, sondern weil sie einen unmittelbaren Nutzen für die Menschen hat – das ist Digitaler Humanismus. Bild: Martin Giesswein co-created mit KI

„Starten wir doch gleich vorab mit den Schlussfolgerungen“, sagt Martin Giesswein. Personalverantwortliche sind gut beraten, auf diese vier Prinzipien bei der Auswahl und beim Einsatz digitaler Tools im Unternehmen achten:

  1. Partizipation der Mitarbeiter*innen bei Planung und Erstellung von digitalen Werkzeugen. Besonders aber bei den ethischen Fragen.
  2. Die Software-Entwicklung, besonders einer KI, muss transparent sein: Was passiert jetzt gerade im Umsetzungsprojekt, welche Daten werden verwendet, wie hoch ist die Verlässlichkeit?
  3. Die KI muss sich selbst erklären (Stichwort: „explainable AI“): Wie kommt die Maschine zu ihrem jeweiligen Ergebnis und kann ich es leicht nachvollziehen?
  4. Der Mensch ist Letztentscheider*in, und zwar basierend auf dem Input der Maschine UND der eigenen Erfahrung.

Im Zentrum steht der Mensch

Diese vier Prinzipien stammen aus der Welt des Digitalen Humanismus. Dieser liefert Antworten auf unsere Bedenken und Hoffnungen rund um die heutigen technischen Möglichkeiten. Die Definition des Begriffs ist einfach: Wir setzen eine digitale Technik nicht ein, weil es sie gibt, sondern nur, wenn es einen unmittelbaren Nutzen für unsere Mitarbeiter*innen und Kund*innen hat, ethisch gesehen niemanden benachteiligt, betriebswirtschaftlich nachhaltig ist und es mit unseren Umweltschutzambitionen vereinbar ist.

Gamechanger im digitalen Universum – egal wie man es nennt

Synonyme für den Begriff Digitaler Humanismus sind vielfältig. Die Investmentfirma Goodshares nennt es People, Planet, Profit. Der Bundesverband der Digitalwirtschaft in Deutschland spricht von CDR, eine logische Weiterentwicklung des Konzepts der Corporate Social Responsibility (CSR). Manche Firmen haben ihre eigenen digitalen Prinzipien bereits direkt in der Gesamtstrategie verankert, andere planen ihre ESG- Initiativen (Environmental Social Governance) um ein „D“ (ESDG) für das Digitale auszuweiten.

Barbara Stöttinger Portrait

Prof. Barbara Stöttinger

  • Dekanin der WU Executive Academy

Egal, wie wir es nennen, wichtig ist, was dabei unter dem Strich rauskommt: Die Technologie ist da, um den Menschen bei seiner Arbeit zu unterstützen und ihm zu dienen – und nicht umgekehrt.

A1 setzt im HRM bereits künstliche Intelligenz ein

Wie Alfred Mahringer, Senior Director Human Resources bei A1 Telekom Austria AG, berichtet, können seine Mitarbeiter*innen ihre eigenen Fähigkeiten, basierend auf deren Selbsteinschätzung, gegenüber dem Markt testen und mit internen Rollen und Jobangeboten matchen. Die KI von People Analytix (https://people-analytix.com/de) etwa gibt auf individuelle Abfrage an, welche Jobprofile am besten zum eigenen Kompetenzprofil passen und welche Skills für spezifische Rollen noch fehlen. So kann jeder selbst entscheiden, ob und wie er das interne Lernangebot nutzen will, um sich Wissens- und Knowhow-technisch fit zu halten. A1 handelt hier ganz im Sinne des Digitalen Humanismus, denn diese Analyse wird nicht zentral für alle abgewickelt. „Wir bekommen die Daten gar nicht zu sehen, außer Mitarbeiter*innen teilen freiwillig das eigene Skill-Profil mit HR und/oder der eigenen Führungskraft, um gemeinsam einen individuellen Lernpfad zu erstellen oder auf neue Rollen angesprochen zu werden“, so Mahringer.

20% gehen in Pension – und der Wissenstransfer?

„Ich habe in den letzten Wochen KI-Systeme getestet, die eine große Erleichterung für den Wissenstransfer bald ausscheidender Mitarbeiter*innen in Organisationen sein werden“ sagt Giesswein und erklärt das Potential an einem anschaulichen Beispiel: 

  • Anna ist 62 und wird nächstes Jahr in Pension gehen. Ein großer Verlust für ihre Firma, sie ist eine zentrale operative Kraft in der Buchhaltung, kennt alle Vorgänge und Prozesse und weiß, "wie es wirklich läuft". Ihre Nachfolgerin ist noch gar nicht rekrutiert.
  • In ihrem Arbeitsvertrag hat sie eingewilligt, dass ein Teil ihrer geschuldeten Leistung die Weitergabe des beruflichen Knowhows ist.
  • Weiters gibt es eine Betriebsvereinbarung, dass ein von ihr lernendes, digitales System sie bei allen Arbeitsschritten für ein Jahr begleiten darf, ohne eine ungebührliche Arbeitskontrolle zu generieren. Das Tool lernt von ihrer Arbeit, zeichnet reale Prozesse nach und bekommt auch immer wieder zusätzliche erklärende Spracheingaben von Anna. Einmal im Monat kontrolliert Anna die Richtigkeit des Lernergebnis. 
  • Ein*e Nachfolger*in wird so ein reales Abbild der tatsächlichen Arbeit als Einschulung erhalten, und Anna wiederum wird in ihrer Pension basierend auf einer geringfügigen Weiterbeschäftigung ihrer ehemaligen Firma zur Verfügung stehen, wenn die neue Arbeitskraft Bedarf für einen fachlichen Austausch, oder Fragen zu einem konkreten Arbeitsschritt hat.
KI für die Einschulung neuer Mitarbeiter*innen: Wissenstransfer könnte bald ohne Überschneidungen passieren. Bild: shutterstock – PopTika
KI für die Einschulung neuer Mitarbeiter*innen: Wissenstransfer könnte bald ohne Überschneidungen passieren. Bild: shutterstock – PopTika

Recruiting: Maschine gegen Maschine?

Die neue Wirklichkeit: „Bewerber*innen senden KI-generierte CVs und Motivationsschreiben. In der Recruitingabteilung sieht kein Mensch diese Dokumente, auch hier entscheidet eine KI, ob man eine Runde weiterkommt. Für mich ein sinnloses Horrorszenario, leider teilweise schon Realität“, sagt Barbara Stöttinger und ergänzt: „Vielleicht aber schaffen wir mit Hilfe der Technik einen völlig anderen Weg.“

Und so könnte dieser aussehen: Bewerber*innen generieren 30-Sekunden-Videos, um sich vorzustellen. Mit einem Wasserzeichen und einer staatlich gesicherten Identifikation (eiD) wird sichergestellt, dass das Video nicht von einer KI oder einer dritten Person generiert wurde. In einer halben Minute bekommt man einen ersten, guten Eindruck über die Person. „Das können wir Menschen definitiv besser als eine Maschine“, so Stöttinger. Die unterstützende KI gibt an, dass die angegebenen Daten die Stellenbeschreibungen matchen. Schließlich kommt es zu einem persönlichen Online- oder Offline-Treffen im Rahmen eines klassischen Recruiting-Prozesses.

Stadt Wien: First-Level Support in der HR

Viele Fragen werden der Personalabteilung immer wieder gestellt: Wie bekomme ich mein Dienstzeugnis, wie funktioniert die Zeiterfassung, unterbricht ein Krankenstand meinen Urlaub? Mehr und mehr Firmen setzen hier bereits HR-Chatbots ein, die immer wiederkehrende „Standard“-Fragen erkennen (mittels Natural Language Processing) und dann eine Antwort geben. Der hochskalierte WienBot etwa für Fragen der Bürger*innen zu Stadtservices: Öffnungszeiten der Bäder, nötige Unterlagen für eine Passverlängerung, Hilfe beim Antrag für den Energiekostenzuschuss. „Die Qualität dieser Chatbots ist zurzeit höher als die einer KI, weil die Antworten von Menschen erstellt und fix im System hinterlegt sind oder auf verlässliche Quellen (Website und Datenbanken der Stadt Wien) zugreifen. Eine KI hingegen konstruiert die Antwort in jedem Fall neu und läuft Gefahr, eine Halluzination zu generieren, also einer inhaltlich falschen, aber verdächtig realistisch wirkenden Antwort“, sagt Martin Giesswein. Sindre Wimberger und sein Team bei der Stadt Wien erforschen diese Weiterentwicklung von "First-Level Support" gerade anhand eines Prototyps.

Martin Giesswein

Martin Giesswein

  • Digital-Experte

In Zukunft ist es zu erwarten, dass KI-Systeme eine höhere Qualität erreichen werden und das aufwändige Erstellen der Antworten ihnen übertragen werden kann.

Lerninhalte selbst mit geringem Aufwand erstellen

Ob Text, Audio, Video oder Bild: Mit neuartigen Services von Midjourney, OpenAI oder D-ID aus Israel (https://www.d-id.com) wird die Planung und Umsetzung von Online-Lernen revolutioniert. Kostengünstige Produktion und jederzeit mögliche Veränderung eines digitalen Lerninhalts werden für HR-Manager*innen auch ohne Programmierkenntnisse möglich.

In den nächsten Jahren werden sich die Angebote der klassischen Online-Lernplattformen und Content-Agenturen massiv weiterentwickeln. „Auch ich als Vortragender für Digitalökonomie werde in 5 Jahren kaum mehr „live“ vor 25 Personen in einem realen Raum Theorie vermitteln, sondern interessierte Teilnehmer*innen werden jederzeit online auf meine aktuellen Inhalte interaktiv zugreifen können, besser als alle heutigen "statischen" Videos und Podcasts“, erklärt Giesswein.

Employer Branding und Recruiting leicht gemacht

„AI-basierte HR-Startups, die praktische Lösungen etwa zum Thema Employer Branding oder Recruiting anbieten, sprießen derzeit wie Pilze aus dem Boden“, sagt Personal-Expertin Martina Ernst, die den neuen People & Culture Management Lehrgang der WU Executive Academy mitentwickelt hat. „In einem unserer letzten Module hat die Vortragende, Melisa Gibovic-Danner, Head of People & Culture Strategy bei Boehringer Ingelheim, alleine zum Thema Employer Branding/Recruiting einen Auszug aus gut 50 neuen spannenden Apps gezeigt.“

Wie etwa www.myVeeta.com, mit dem Unternehmen den Kontakt zu geeigneten Kandidaten und Alumni sehr einfach und professionell pflegen können. Oder auch www.firstbird.com,

eine Software, mit der hochqualifizierte Mitarbeiter*innen über Empfehlungen aktueller Mitarbeiter*innen gewonnen werden können.

„Das Gute an diesen Apps ist, dass sie SAAS-fähig sind und dadurch von den People & Culture Verantwortlichen problemlos genutzt werden können, weil sie sich an die - oft noch starre - HR-Architektur in den Unternehmen andocken lassen“, so Ernst.

Martina Ernst

Martina Ernst

  • HR-Expertin

Für HR-Verantwortliche ist Agilität als Teil ausgewählter New-Work-Kompetenzen zukünftig ein absolutes Muss, denn nur so kann die e-HRM-Architektur so flexibel gestaltet werden, um für neue Trends jederzeit durch entsprechende Software-Lösungen (SAAS) anschlussfähig zu bleiben.

Gute Software: Value-based Engineering

"Aber die Systeme, die wir als HR nutzen, stellt unsere IT zur Verfügung, da haben wir kaum Einfluss". „Würden Sie diesen Satz für Ihr Unternehmen auch unterschreiben? Im Rahmen des Digitalen Humanismus bieten sich neue Standards in der Konfiguration und Erstellung von Softwaresystemen an. Im Dreiklang von IT-Abteilung, HR und Vertreter*innen der späteren User*innen werden dabei Systeme gemeinsam geplant, damit sie den ethischen Bedürfnissen aller Stakeholder*innen entsprechen“, meint Barbara Stöttinger.

In diesem Prozess werden sogenannte Ethical Value Requirements definiert, die die Funktionen der späteren Systeme mitbestimmen. Dafür gibt es einen Standard und eine Zertifizierung. (ISO/IEC/IEEE 7000 https://standards.ieee.org/ieee/7000/6781). Sarah Spiekermann-Hoff von der Wirtschaftsuniversität Wien hat als Vize-Chair diesen Standard seit 2016 maßgeblich mitentwickelt. IT-Unternehmen, die UNO und auch die Stadt Wien verwenden bereits diesen neuen Standard. Die Beweggründe für Unternehmen können dabei vielfältig sein: Das geht von tatsächlich empfundener ethischer Verantwortung der Manager*innen über Absicherung für spätere mediale oder rechtliche Konflikte bis hin zur Steigerung der Softwareakzeptanz und -Nutzung im Unternehmen.

Bei welcher Firma willst Du arbeiten?

Bewerber*innen, die sich zwischen zwei Firmen entscheiden können, fragen immer mehr nach der wahren Kultur der Firma. Kununu und andere Dienste versuchen das abzubilden. Die Auszeichnung oder Zertifizierung als Unternehmen, das die Prinzipien des Digitalen Humanismus lebt, könnte hier eine Entscheidung für das eigene Unternehmen leichter machen. „Ähnlich wie bei der ökologischen Verantwortung eines Unternehmens darf es aber kein Greenwashing geben, also mehr Schein als Sein. Nur so zu tun, als würde man die digitalen Werkzeuge mit Fokus auf den Menschen verwenden, könnte als "Humanism-Washing" enttarnt werden und einen negativen Effekt haben“, warnt Giesswein. 

Wie wird Ihre Firma dargestellt?

Heute wird die Außenwahrnehmung eines Unternehmens stark durch journalistische Berichterstattung, die eigene Online-Präsenz und Kununu bestimmt. „Versuchen Sie doch mal, ChatGPT danach zu fragen, ob Ihre Firma eine gute Arbeitgeberin für einen bestimmte Job-Rolle ist. Die KI ist offensichtlich bereits darauf trainiert, zu sagen, dass sie das nicht abschließend beantworten kann, spuckt dann aber doch ca. 400 Worte über (in unserem Fall die WU Executive Academy) aus“, so Barbara Stöttinger.

Die Fragestellung für HR-Manager*innen ist somit klar: Wie können wir in der Zukunft sicherstellen, dass die (richtige) Informationen über das eigene Unternehmen in das Trainingsmaterial der KI einfließen? Selbst technisch ist diese Frage noch unbeantwortet, ein aktives Auseinandersetzen zu dem Thema aber ab sofort hilfreich, um die Gefahr der unrichtigen oder tendenziösen KI-Angaben über das eigene Unternehmen in Zukunft zu reduzieren.

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