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Soziale Medien
von Prof. Nikolaus Franke
Warum ist Innovation so schwierig? Weil man nicht so leicht eine geniale Idee hat? Weil der Weg der Entwicklung zum funktionierenden Produkt so schwer ist? Weil es bei der Markteinführung gelingen muss, die KundInnen zu überzeugen? Weil Wettbewerber das Produkt sofort imitieren können? All das sind tatsächlich gewaltige Herausforderungen. Aber leidgeprüfte ManagerInnen wissen: der schlimmste Gegner der Innovation sind die Widerstandskräfte innerhalb der eigenen Organisation.
William S. Sims war gegen Ende des 19. Jahrhunderts Kapitän eines amerikanischen Kriegsschiffes. Fern der Heimat in China stationiert hatte er dort den Kapitän eines anderen Schiffes kennengelernt, einen Briten namens Percy Scott. Dieser zeigte ihm eine revolutionäre Erfindung, die er gemacht hatte: die kontinuierlich feuernde Kanone. Bis dahin vollzog sich der Schussvorgang in drei Schritten. Erst wurde die Entfernung zum Ziel geschätzt. Dann wurde der entsprechend notwendige Winkel der Kanone eingestellt. Und wenn das Schiff dann völlig waagerecht lag, löste der Kanonier den Schuss aus. Was diesen Prozess entscheidend verlangsamte, war der Seegang. Schiffe auf hoher See liegen nur zweimal pro Wellenamplitude völlig waagerecht: an der Spitze und im Wellental. Zu allen anderen Zeitpunkten stimmte der berechnete Schusswinkel nicht. Man konnte also nur in relativ großen Zeitabständen schießen. Scotts Idee war einfach: er ließ den Schützen mit dem Ziel „mitgehen“. Der notwendige Verstellmechanismus an der Kanone war schließlich da und aufgrund des physikalischen Gesetzes der Trägheit musste der Kanonier nicht einmal besonders viel Kraft aufwenden. Trotzdem war der Effekt ungeheuer. Ein Test auf die „alte“ Weise, bei dem fünf Schiffe insgesamt 25 Minuten auf ein Schiff schossen, ergab zwei Randtreffer. Mit Scotts Erfindung schaffte ein einziger Kanonier innerhalb einer einzigen Minute – bei gleicher Distanz und Zielgröße – 15 Treffer, davon waren fast die Hälfte Volltreffer. Sims war begeistert und schrieb insgesamt 13 offizielle Berichte an das Bureau of Navigation, in denen er die Erfindung, ihre Funktionsweise und weitere Verbesserungsmöglichkeiten genau beschrieb.
Man sollte annehmen, dass die zuständigen Personen unverzüglich handelten. Alles andere als eine sofortige Umsetzung wäre schließlich verrückt. Aber das Bureau of Navigation reagierte anders. Die ersten Eingaben von Sims wurden einfach ignoriert. Er bekam keine Antwort. Als er insistierte und seine Berichte auch an weitere Stellen im Admiralsstab schickte – seine Überlegung war, dass man es dann nicht mehr riskieren konnte, sie einfach zu „übersehen“ – prüfte man seine Idee, und wies ihm haarklein nach, dass es seine Erfindung gar nicht geben konnte. Das Problem der Tests war jedoch, dass sie an Land ausgeführt wurden. Und tatsächlich: ohne die unterstützende Kraft des Trägheitsmoments war es einem Schützen wirklich nicht möglich, die schwere Kanone schnell genug zu schwenken. Als Sims auch diesen Denkfehler genau aufspießte, kam es zum finalen Argument des Bureau of Navigation, dem Argumentum Ad Hominem. Man untersuchte die Karriere von Sims und fand genügend Beispiele für Disziplinlosigkeiten – genug, um diesen Unruhestifter ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen. Sie hatten jedoch nicht mit Sims Entschlossenheit gerechnet. Sims schrieb direkt an den US-Präsidenten, und der las den Brief aus einer Laune des Schicksals heraus tatsächlich selbst. Kurze Zeit später war die Innovation durchgesetzt – eine der größten Revolutionen in der Geschichte der bewaffneten Seefahrt. Am Ende hatte Sims doch gesiegt.
Der Fall der schwenkbaren Kanone ist interessant, weil er so extrem ist. Man muss sich vor Augen halten, wie ungewöhnlich diese Innovation war:
Erstens war sie kein Leistungsversprechen, sondern eine erprobte Technik, die einfach besichtigt und geprüft werden konnte.
Zweitens handelte es sich nicht um eine inkrementelle Verbesserung, sondern um eine Leistungsexplosion – ein Unterschied von mehreren tausend Prozent.
Und drittens ist die Fähigkeit, schnell und ohne Unterbrechung zu feuern, eine der unbestritten wichtigsten Leistungsdimensionen eines Kriegsschiffes.
Kaum eine „normale“ Innovation weist den Luxus dieser drei Besonderheiten auf. Das allgemeine Muster wird an ihm besonders deutlich: Jede Innovation trifft zunächst auf Widerstand, und jeder erfinderische und engagierte ManagerInnen, der etwas Neues vorschlägt, wird ihn am eigenen Leib erfahren.
Die Innovationsforschung unterscheidet zwei Kategorien von Gründen, warum wertvolle Ideen von der eigenen Organisation bekämpft werden. Der erste Grund ist ökonomischer Natur. Eine Innovation ist nach Schumpeter eine schöpferische Zerstörung. Sie verursacht Kosten. Damit sind nicht nur die direkt zurechenbaren Projektkosten gemeint, sondern vor allem auch die Kosten der Umstellung. Bei den betroffenen MitarbeiterInnen fallen Routinen und Gewohnheiten weg. Man muss sich aus der Komfortzone bewegen, Neues lernen, sich anpassen. Es gibt Risiken und Unsicherheit in Bezug auf Wirkungen und mögliche Nebenwirkungen. Diese Änderungskosten betreffen in einem Unternehmen die MitarbeiterInnen aller Abteilungen, die von der Innovation berührt werden. Und weil Innovation eine Querschnittsaufgabe ist und entsprechend sämtliche Unternehmensbereiche und Funktionen von Beschaffung über F&E, Produktion, Marketing und Vertrieb beteiligt sind, wird einem von überall dort auch Widerstand begegnen. Im Fall der schwenkbaren Kanone dämmerte es dem Bureau of Navigation, dass die schwenkbaren Kanonen die Organisation der Flotte auf den Kopf stellen würde – mit unabsehbaren Folgen auch für sie selbst.
Es wäre zu kurz gegriffen, wenn man nur ökonomische Gründe für den Widerstand verantwortlich machen würde. Eine Innovation ist nicht nur eine neue und bessere Lösung – sie ist auch eine Kritik am Status Quo und denjenigen, die für ihn verantwortlich sind. Bei jedem Vorschlag schwingt die Frage mit, warum man nicht längst darauf gekommen ist, warum man es so lang anders gemacht hat, wieviel Geld man dadurch hätte sparen können. Es ist verständlich, dass man lieber den Nutzen der Innovation leugnet als Fehler und Versäumnisse zuzugeben. Ganz sicher war dies ein wesentlicher Grund, warum das Bureau of Navigation die Innovation abgelehnt hat. Daneben haben Menschen auch aus evolutionären Gründen eine Abneigung gegen das Neue. Für den prähistorischen Menschen bedeuteten Änderungen stets Gefahr. Etwas Unvorhergesehenes und Fremdes konnte eine Bedrohung durch Naturkatastrophen, Krankheit, wilde Tiere und fremde Stämme bedeuten. Besser man war vorsichtig und wich ihm aus – dieses Muster wirkt bis heute nach.
Wer Innovationen in der eigenen Organisation durchsetzen möchte, der darf nicht naiv sein. Nur arglose Seelen glauben, dass KollegInnen und Vorgesetzte jubeln, wenn man ihnen eine Idee für eine radikal neue Lösung – egal ob für ein Produkt, eine Dienstleistung, einen Prozess oder ein Geschäftsmodell – vorschlägt. Der erste Schritt muss daher eine Analyse der Situation sein. Wer ist für die Innovation, wer ist dagegen? Und vor allem: warum? Sind es mehrheitlich ökonomische Erwägungen oder spielen psychologische Faktoren eine Rolle? Die Durchsetzung der Innovation erfolgt angepasst an die Natur des Widerstands.
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