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Was Führungskräfte von heute aus der Geschichte lernen können
Wissenschaft und Forschung sind meist ihrer Zeit voraus: das ist in der Leadership-Forschung nicht anders. Wie sehr es sich mitunter aber lohnt, den Blick nicht nur in die Zukunft, sondern auch in die Vergangenheit zu richten, weiß Johannes Steyrer, Akademischer Leiter des Executive MBA Health Care Management der WU Executive Academy.
Was sich Führungskräfte von heute von den großen historischen Leadership-Strömungen der letzten 50 Jahre für ihre eigene Praxis abschauen können und welche Konzepte die Führungsstildiskussion aktuell bestimmen, erklärt der Management-Experte im Folgenden.
Die Komplexität der Wirtschaft verändert unsere Arbeitswelt in einem noch nie dagewesenen Ausmaß und damit auch, wie Führung in den Unternehmen gedacht und umgesetzt wird. Virtuelle Zusammenarbeit, agile Arbeitsweisen, die Verflachung von Hierarchien und die zunehmende Dezentralisierung der Unternehmen machen ein neues Führungsverhalten unumgänglich. Was erst seit wenigen Jahren in den HR-Abteilungen und Führungsriegen der Unternehmen diskutiert wird, beobachtet die Wissenschaft bereits seit Jahrzehnten.
„Es gibt grundsätzlich zwei große duale Leadership-Konzepte, und zwar mitarbeiter*innen- und aufgabenorientierte Führung sowie transaktionale (Belohnung nach Zielerreichung) und transformationale (mit Vision inspirieren, emotional mitreißen und begeistern) Führung“, sagt Johannes Steyrer, Akademischer Leiter des Executive MBA Health Care Management an der WU Executive Academy und Leiter des Interdisziplinären Instituts für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management der WU Wien.
Johannes Steyrer skizziert im Folgenden die größten historischen Leadership-Strömungen in der Wissenschaft, die teilweise bis in die Gegenwart wirken, und erklärt, was Führungskräfte daraus ableiten bzw. lernen können:
In der lang anhaltenden Nachkriegsära prosperierte die Wirtschaft und wuchs bis zu acht Prozent pro Jahr. Es herrschte Arbeitskräftemangel. Unternehmen waren meist funktional strukturiert (z. B. Produktion, Vertrieb, Verwaltung). Die sogenannte Linie garantierte hierarchische Über- und Unterordnung bzw. klare Macht- und Entscheidungsstrukturen. Die Führung war paternalistisch (wer fleißig und loyal war, wurde belohnt bzw. behalten) und hierarchisch zugleich (Oben forderte - Unten lieferte, Oben fragte - Unten antwortete, Oben klagte an - Unten rechtfertigte sich).
Damals waren laut Johannes Steyrer die klassische Aufgaben- und Mitarbeiter*innenorientierung in der Praxis und auch in der Leadership-Forschung vorherrschend: „Die Handlungsmaxime für Führungskräfte war: zuhören, freundlich sein, Aufgaben und Ziele vorgeben und die Zielerreichung überwachen: dieses klassische Konzept war an klaren Kommandostrukturen der Top-Down-Hierarchien orientiert.“
In den 1990er Jahren gab es schließlich den großen Wandel als Reaktion auf „Hyperturbulenzen durch die Trias Globalisierung, Digitalisierung und Deregulierung der Märkte“, führt Johannes Steyrer aus. In den Unternehmen wurde als neue Steuerungsgröße die Kapitalrentabilität („Economic Value Added“) zum Maß aller Dinge.
Johannes Steyrer
Wo wird Wert geschaffen, wo wird Wert vernichtet? Unternehmen waren plötzlich kein gewachsenes Ganzes mehr, sondern Portfolios, dessen Teile - je nach Marktlage - gekauft oder verkauft wurden. Alles stand zur Disposition.
Dieser Wandel in der Wirtschaft führte auch zu einem massiven Umdenken im Management: die Ära des Lean Management und der Effizienz war angebrochen. Effizienz wurde zum Maß aller Dinge. Gleichzeitig ging es darum, das entstandene Vakuum und die sinnentleerten Strukturen mit Visionen und Leadership aufzufüllen. In dieser Ära wurde daher das Konzept der transformationalen im Gegensatz zur transaktionalen Führung entwickelt. Transaktionale Führung funktioniert im Sinne eines Tauschgeschäftes (Belohnung nach Zielerreichung), transformationale Führung begleitet hingegen die Geführten auf eine höhere Ebenen der Bedürfnisbefriedigung, sodass sie sich jenseits ihrer Eigeninteressen für ein größeres Ganzes einsetzten. Transformationale Führung soll Menschen mit einer Vision inspirieren, sie emotional mitreißen, sie begeistern und so transformieren, und zwar nach dem Credo: „Wer Leistung will, muss Sinn schenken“, so Steyrer.
Seit den Nuller-Jahren entwickelte sich mit der weiteren Dynamisierung der Märkte und der Verkürzung von Produktlebenszyklen ein neues Konzept: das Agile Leadership. „Viel alter Wein in neuen Schläuchen, wie z. B. Selbstorganisation, Empowerment, Vernetzung, aber all das gepaart mit Flexibilität und Agilität (= Beschleunigung)“ sagt Johannes Steyrer. Das Grundkonzept kommt nicht von ungefähr aus der raschen Software-Entwicklung und prägt heutzutage den Management-Slang. Steyrer weiter: „Zu den zwei zentralen Erfolgsgrößen Preis und Qualität kam nämlich als Dritte Zeit hinzu. Die Produktlebenszyklen werden immer kürzer, überall nimmt Komplexität zu und die Zeit für solides Entscheiden ab. Das sind paradoxe Anforderungen, die mit diesem Konzept gelöst werden sollen.“
Ein Revival erlebt der Ansatz des „Servant Leadership“ derzeit in der menschzentrierten New Work-Bewegung, der seinen Ursprung in Robert K. Greenleafs Essay „The Servant as Leader“ aus dem Jahr 1970 findet. Es stellte die Pflicht der Führungskraft dar, den Menschen bzw. Mitarbeiter*innen zu dienen. Für Greenleaf können Menschen wie Unternehmen als Servant Leaders anderen dienen. Eine Haltung der Demut, der „vornehmen Zurückhaltung“ und Bescheidenheit, die sich auch im neueren Ansatz des „Humble Leadership“ wiederfindet. Auch andere Konzepte wie „Führung auf Augenhöhe“ und „Peer Leadership“, das die Mitarbeiter*innen dazu befähigt, selbst zu führen und zu entscheiden, schlagen in diese Kerbe.
Für Johannes Steyrer ist die radikale Ausrichtung am Menschen allerdings eine allzu einseitige Betrachtung von Führung: „Man proklamiert gern: Der Mensch ist im Mittelpunkt. Dabei ist es so: der Mensch ist für Unternehmen Mittel. Dann folgt ein Punkt“, - so bringt es der Experte auf den Punkt. Dass Servant Leadership wieder en vogue ist, scheint der gegenteilige Pendelausschlag zum effizienzgetriebenen Management der 1990er zu sein. „Womöglich ist es dem schlechten Gewissen geschuldet, weil man in der Vergangenheit zu wenig auf die Menschen geachtet hat“, so Steyrer.
Steyrer weiter: „Führungskräfte befinden sich seit jeher in einem Spannungsgefüge. Führung hat immer mit Dilemmata zu tun – es ist nie ein Entweder-Oder.“ Laut Steyrer gibt es drei derartige Dilemmata, die zusammengefasst folgendes Spannungsgefüge ergeben:
Der auch in den vergangenen Jahren immer wieder proklamierte Anspruch an Führungskräfte, situative Führung anzuwenden, also indem sie auf den Bedarf der jeweiligen Situation oder des Gegenübers eingehen, sei zu hoch gegriffen. Steyrer plädiert für eine realistischere Betrachtung, was Führungskräfte leisten können: „Diese sind zwar idealerweise reife Menschen, aber auch deren Flexibilität und Veränderbarkeit ist enden wollend.“ Wichtiger als allen Ansprüchen zu genügen sei, den richtigen Kontext, das richtige Umfeld für den persönlichen Führungsstil zu finden: „Der richtige „Fit“ macht den Unterschied. Essentiell ist, die eigenen Stärken und Schwächen als Führungskraft zu erkennen und das passende Umfeld dafür zu finden“, so Steyrer.
Auf Führungskräfte kommen zwei große Herausforderungen zu:
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